Fernando Pessoas Erzählung „Ein anarchistischer Bankier“ von 1922 ist für mich ein Buch der Stunde. Pessoa schildert darin den Dialog eines Bankiers mit einem Freund, der allerdings nur die Stichworte liefert. Aus dem Monolog des Bankiers entwickelt sich gewissermaßen das Manifest seiner Lebenshaltung.
Diesen Bankier beschreibt Pessoa zunächst als einen „großen Händler und namhaften Schieber“.
„Mir wurde erzählt, Sie seien früher Anarchist gewesen!“
Mit dieser Frage des Freundes wird das Gespräch in Gang gesetzt. Der Bankier korrigiert:
„Ich bin es nicht gewesen, ich bin es noch immer.“
Nun erklärt der Bankier, wie man beides sein kann: Bankier und Anarchist. Mehr noch: Wie das eine notwendigerweise zum anderen führt. Er geht sogar so weit zu behaupten, dass nur er ein echter Anarchist sei, im Gegensatz zu den „Typen von den Arbeiterorganisationen“.
Wie das geht? Ganz einfach. Indem man die Freiheit absolut setzt, mit dieser Freiheit aber nur die eigene meint. So war der Bankier zunächst selbst Mitglied einer anarchistischen Gruppe gewesen und in dieser Organisation enttäuscht worden: Denn auch unter diesen Anarchisten gebe es Subordination und Forderung nach Gefolgschaft. Der Sozialismus war für ihn nie in Frage gekommen, denn die Sozialisten wollten nur die gerade gültigen „gesellschaftlichen Fiktionen“ durch andere ersetzen.
Deswegen sei er schließlich seinen eigenen Weg gegangen. Der korrupte Anarchismus, den er in seiner Gruppe kennengelernt hat, konnte die „Fiktionen“ nicht aufbrechen. So kam der Bankier zu folgendem Ergebnis:
„Die gewichtigste Fiktion in unserer Zeit ist nun einmal das Geld. Wie aber […] die Macht bzw. die Tyrannei des Geldes bezwingen? […]
Die einfachste Methode wäre gewesen, mich aus seiner Einflußsphäre, das heißt aus der Zivilisation zurückzuziehen; ich hätte aufs Land gehen können, Wurzeln essen und Wasser aus den Quellen trinken, nackt herumlaufen, wie ein Tier leben können.“
Pessoa beschreibt in den Worten des Bankiers zunächst das Aussteigertum, das es ja bis heute gibt. Der Bankier nennt dieses Aussteigen eine „Flucht“.
„Ich musste also anders vorgehen – was ich brauchte, war eine Kampf- und keine Fluchtmethode. […]
Die einzige Methode war – es zu erwerben, es in so großer Menge zu erwerben, daß sein Einfluß nicht mehr spürbar werden konnte; und je größer die erworbene Menge wäre, desto freier würde ich von seinem Einfluß. Als mir das mit der ganzen Kraft meiner anarchistischen Überzeugung und der Logik meines Scharfsinns vor Augen stand, trat ich, lieber Freund, in die jetzige Phase – in die Kommerz- und Bankphase meines Anarchismus ein.“
Pessoa beschreibt hier die Herkunft des libertären Denkens aus dem Geist des Anarchismus. Freiheit ist, wenn ich frei bin. Die „Tyrannei des Geldes“ ist bezwungen, wenn ich reich bin.
Damit ist Pessoas Bankier nichts anderes als eine Vorwegnahme von Elon Musk. Genau das ist der neuralgische Punkt: Wenn Freiheit sich nicht mit Solidarität verbindet, kippt sie in Tyrannei. Musks Kettensägen-Show ist dafür ein bildhafter Beweis.
Gegen solche Bankiers und Online-Oligarchen hilft keine Antifa-Rhetorik, denn diese wendet sich ja immer gegen den alten, militaristischen Nazi. Möglicherweise ist das ein Grund, warum Diskussionen über und mit den Neuen Rechten bisher so wenig Erfolg hatten, egal wie intensiv sie geführt werden.
Der libertäre „Freiheitsheld“ Elon Musk muss sich als Nazi gar nicht angesprochen fühlen. Und dessen Fans ebenso wenig.
Bildnachweis:
Beitragsbild: Elon Musk auf der CPAC 2025 (picture alliance)
Fernando Pessoa
Ein anarchistischer Bankier
Erzählung
Wagenbach 2006 · 96 Seiten · 18 Euro
ISBN: 978-3803112361
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