Ottmar Ette ist Professor für Romanistik an der Universität Potsdam und hat unter anderem viel zum frankophonen Afrika geforscht und publiziert. Dazu gehört die 2020 veröffentlichte wissenschaftliche Studie Philosophieren ohne festen Wohnsitz über Anton Wilhelm Amo, den ersten schwarzen Philosophen des 18. Jahrhunderts. Nun widmet sich Ette dem Leben Amos auf literarische Weise. Allein der dabei unvermeidliche Wechsel der Sprachebenen weckt Neugier.

Mit einem fulminanten Aufschlag zeigt Ette, dass er sich auch in der literarischen Sprache wohl fühlt, lässt er doch den ersten Satz des Buches sich über mehr als zwei Seiten entfalten, ohne dass die Spannung nachlässt. Dieser eine Satz ist gleichermaßen Prolog wie Zusammenfassung der Geschichte. Er beginnt vom Ende her, mit dem Tod der Hauptperson, die als „schwarze Gestalt“ eingeführt wird. Der Leser sieht diese noch namenlose Hauptfigur,

wie sie sich vor dem Nachthimmel abzeichnet, leicht vornübergebeugt, hinaus aufs Meer schauend, […] sich verlierend in den schwingenden Bewegungen der Wogen, verloren in den Zwischenräumen, die sich im Dazwischen der Wellen, im Intermezzo eines Zwischenlebens, das doch das wahre Leben ist, auftun […].

Wir hören dies von einem Ich-Erzähler, dessen Identität zunächst im Unklaren bleibt, der aber offenbar Zeitgenosse im lang zurückliegenden Leben der „schwarzen Gestalt“ gewesen ist. Ein paar Kapitel später erfahren wir dann, dass es sich bei diesem Ich-Erzähler um einen unsterblichen weiblichen Pudel handelt, den Amo schon als Kind zum Freund und Begleiter hatte.

Die Bedeutung des „Zwischenlebens als dem wahren Leben“ wird sich über das ganze Buch weiter entfalten. Im langen ersten Satz kann man wie in einem stets breiter werdenden Fluss ein zunächst ein anderes „Zwischen“ lesen, wenn die Zwischenetappen der Reise jener schwarzen Gestalt aufgeführt werden: wie diese als trauriges Kind „die hell erleuchtete Küste der Karibik“ sah, wie sie in einer kleinen Stadt an der Elbe „die glücklichsten Jahre des Lebens verbrachte“ und schließlich bis zur Terrasse von Sanssouci gelangt.

Ein aufgeklärtes Menschenexperiment

Natürlich geht es in dieser Weise nicht weiter, denn die Geschichte jener schwarzen Gestalt braucht Tempo, um in ihrer ganzen Fülle erzählt werden zu können. Der Protagonist wird als Sklave im Kindesalter nach Amsterdam verschifft und kommt von dort als Geschenk an den Hof des Herzogs von Wolfenbüttel. Hier finden den kleinen „Mohren“ alle so niedlich – und vor allem gelehrig. Der Herzog möchte sich einen Namen als aufgeklärter Herrscher machen, indem er mit dem Jungen ein Experiment veranstaltet. Der Schwarze wird auf den Namen Anton Wilhelm getauft, benannt nach dem Herzog Anton Ulrich und dessen Sohn August Wilhelm. Nun soll anhand des Kammermohren Anton Wilhelm untersucht werden, ob auch ein schwarzer Mensch über Fähigkeiten des Geistes verfügt. Amo bekommt eine umfassende Ausbildung an der Ritterschule des Herzogs und wird nach seinem Abschluss an die Universität Halle zum Studium geschickt. Von hier aus entfaltet sich eine – äußerlich betrachtet – glanzvolle akademische Karriere, zu der die Stationen Wittenberg, Jena und dann wieder Halle gehören. Im weiteren Verlauf promoviert Amo und wird sogar Professor für Philosophie, schon bald macht sein Name in den entsprechenden Kreisen die Runde.

Was die Daten und Fakten betrifft, hat sich die Geschichte von Anton Wilhelm Amo auch ungefähr so zugetragen. Die Pudeldame, die uns als Erzählerin durch das Buch führt, ist inzwischen (in Anlehnung an Schopenhauer) zum Philosophen geworden. Sie ist zudem grau – ein Kontrapunkt zu jeglicher Schwarz-Weiß-Dichotomie? Zuweilen tritt jedoch auch Amo selbst als Ich-Erzähler auf, was eine doppelte Perspektive auf sein Innenleben gestattet. Der Pudel steht dabei für eine überzeitliche Erzählinstanz, einen Zeitzeugen, wenn man so will, von dem wir Heutigen quasi aus erster Hand über das Leben Amos erfahren.

Das Stigma der schwarzen Haut

Dem Hund fällt im Übrigen sehr viel früher auf als seinem Herrn, dass dieser sich niemals aus seiner ihm zugeschriebenen Rolle wird befreien können, dass er das Stigma der schwarzen Haut nicht wird ablegen können, solange er in Europa bleibt. Selbst als er bereits Professor und ein anerkannter Philosoph ist, bleibt er das Objekt eines Menschenexperiments. Amo selbst hat sich zwar über die Jahre ein scheinbar dickeres Fell als seine Pudeldame angelegt, doch innerlich kocht es oft in ihm, wenn er geschnitten oder verspottet wird.

Das erfährt der Leser am eindrücklichsten in den Schilderungen der Träume, die Amo heimsuchen. Hier verlässt der Autor die Erzählsprache und gibt sich teilweise wild tanzenden Sprachrhythmen hin, die durchaus nicht willkürlich gewählt sind. Sie dienen vielmehr dazu, die zeitweilige Verzweiflung Amos über seine Festschreibung als schwarzer Sklave dem Erzählstrang gegenüberzustellen.

[…] Schwarzer Schweiß auf meiner Stirn […] tropft auf mein Kissen, mein weißes Kissen, schwarzer Schweiß. Schwarzer Schweiß läuft auf mein weißes Kissen, weißes Kissen, schwarzer Schweiß, […] alle lachend um mein Bett, mein schwarzes Bett, mein Sklavenbett, mein Sklavendeck, festgezurrt liege ich da, festgezurrt ich im schwarzen Schweiß, ein Sklave ich, ein Sklave ich, du schwarzer Schweiß. Ratten fangen unten Schweiß auf, fangen schwarzen Schweiß, saugen schwarzen Schweiß, der aus mir läuft, der läuft ich weiß nicht wie. So viele schon gestorben, so viele schon krepiert, einfach über Bord, einfach über Bord weg hopp und weg, siehst du, hörst du, bist du, im schwarzen Schweiß, weiß nicht wie schwarz, weiß nicht wie weiß, ich schwarzer Schweiß, einfach über Bord und fort. Wort und fort.

Kritik an der Philosophie

Neben dem Leben des Protagonisten widmet sich der Text einer Kritik an den akademischen Institutionen sowie der Aufklärung selbst, vorgebracht abwechselnd vom Pudel und von Amo. Wie kann es sein, dass das Licht der Vernunft, die Verbreitung von Wissen und scheinbar universeller Humanität einhergeht mit kolonialer Ausbeutung und Unterdrückung? Solche Fragen führen Amo mehr und mehr zu der traurigen Erkenntnis, dass auch der sogenannte aufgeklärte Monarch Friedrich nicht vor Eroberungskriegen zurückschreckt – beispielhaft erlebt er dies am ersten Krieg gegen Schlesien.

Und die Philosophie? Was nützt die ganze Gelehrsamkeit, wenn der Geist des Opportunismus und des Intrigantentums sich als Kennzeichen des akademischen Typus über die Jahrhunderte hält? Des Pudels Beobachtungen zu diesem Punkt sind unschwer als Kritik an heutigen Phänomenen zu lesen. Auch die Erstarrung der Philosophie zum System fester Begriffe, mit deren Hilfe die Welt nicht nur geordnet und kategorisiert, sondern vor allem kontrolliert und beherrscht werden soll, ist keineswegs ein Problem nur des 18. Jahrhunderts, auch dies wird in Otmar Ettes Roman kenntlich.

Die Pudeldame kann nicht nur erzählen, sondern auch philosophieren. Das nämlich lernt sie von ihrem Herrn. Der wird durch die bitteren Erfahrungen der nicht endenden Demütigungen zunehmend skeptisch gegenüber der Philosophie, die er doch selbst lehrt. Diese Skepsis macht ihn zu einem Kritiker der eigenen Zunft. Amo beginnt, dem erstarrten Systemdenken das Philosophieren als bewegliches Denken gegenüberzustellen. Das knüpft an den langen Satz des Romananfangs an, in dem vom Zwischenleben die Rede ist. Amo beginnt auch in seinem Denken ein Leben zwischen den Welten und den Begriffen zu führen, ein geistig „nomadisches Leben“, wie es im Roman heißt. Amo wird das gegliederte System des Wissens immer wieder transzendieren, um schließlich den Weg zur Weisheit einzuschlagen. Dies gelingt nur in einer Art nomadischen Herumstreunens zwischen europäischem und afrikanischem Denken.

Weisheit des Zusammenlebens

Tatsächlich begibt er sich am Ende wieder nach Afrika. Auch dieser Schritt ist historisch verbürgt und wird nun von Ette in einem großen philosophischen Finale über Weisheit und Liebe zu einem der bewegendsten Teile des Buches ausgearbeitet. Das Stichwort, das der verständige Hund gibt, lautet Äquipollenz, also die Gleichmächtigkeit der verschiedenen sprachlichen und philosophischen Zugänge zur Welt. Erst jetzt lernt Amo die Sprache der Nzema, aus deren Stamm er als Kind geraubt wurde, und zwar von seiner nach ihm geborenen Schwester. Amo ist fasziniert von der Sinnlichkeit dieser Sprache:

„Das ist ja nicht nur die Sprache, die du mir beibringst, sondern auch eine ganze Weltsicht, eine ganze Philosophie, Schwester!“ „Wenn ich dir das Nzema beibringen soll, dann kann ich dir nicht nur Worte beibringen, sondern auch das Licht, die Farben, die dunklen Düfte, für die sie stehen, die sie repräsentieren, die sie bedeuten. Nur wenn du diese Dinge verstehst, kannst du unsere Sprache richtig sprechen. Sprache, mein Lieber, ist eben mehr als Sprache. Sprache ist im vollständigen Sinne: Einatmen, Ausatmen, Atmen. Sprache ist Leben.

Diese Einsicht beflügelt Amo auf seiner Suche nach Weisheit. Nun ist es sein Vater, der ihm bei dieser Suche hilft, indem er Amo den Mythos von Assaman erzählt: In der Tradition der Nzema erhält eine mythologische Figur namens Assaman auf der Suche nach Weisheit von den Göttern einen Topf, der eben mit dieser gefüllt ist. Auf der Reise zurück zu den Menschen zerbricht der Topf. Was Assaman zunächst als Katastrophe erscheint, führt jedoch zu der wunderbaren Wendung, dass sich die aus dem Topf ergießende Weisheit nun in unendlich vielen Rinnsalen über die ganze Welt ergießt, so dass jeder Teil der Welt Anteil an ihr hat, auf je eigene Weise. Amos neue Aufgabe, die er sich selbst gesetzt hat, besteht nun darin, Verbindungen zwischen den Rinnsalen zu schaffen. Da er sowohl die afrikanische Weisheit wie auch das europäische Wissen kennengelernt hat, ist er darauf bestens vorbereitet. Letzteres will er nicht missen, es bedarf schließlich nur der Erkenntnis der Äquipollenz, um es von seinem Absolutheitsanspruch zu lösen.

Wer dies nun als Ankündigung eines Happy Ends lesen will, sei gewarnt: Ein solches kann es in dieser Geschichte nicht geben. In jedem Fall zeigt Ottmar Ette sich in seinem neuen Roman selbst als äquipollent – gleichzeitig in der wissenschaftlichen wie der literarischen Sprache zu Hause.

Bildnachweis:
Beitragsbild: Bronzeplastik Freies Afrika von Gerhard Geyer in Halle.
IMAGO/Steinach
Angaben zum Buch

Ottmar Ette
Mein Name sei Amo
Roman
Kadmos 2024 · 376 Seiten · 29,80 Euro
ISBN: 978-3865995858

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Von Frank Hahn

Freier Autor in Berlin und Vorsitzender des Vereins „Spree-Athen e.V.“, der regelmäßig ins Literaturhaus Berlin zu Vorträgen aus den Bereichen Philosophie und Literatur einlädt.

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