Mit Ausnahme des Themas Migration war kein Thema in den Wahlkampfstrategien der Neuen Rechten derart präsent wie die Corona-Pandemie. Es verging im Sommer praktisch kein Tag, an dem in Sachsen nicht von irgendwo her der Rücktritt oder gar die Bestrafung von Entscheidungsträgern, Politiker, Journalisten oder Wissenschaftlern der Pandemie-Zeit gefordert wurde. Die Bestrafungsfantasien reichten teilweise bis zum Galgen.

Auch im Brandenburger Landtagswahlkampf arbeitete die AfD unverhohlen mit diesem Tribunaldenken. Auf Plakaten wurde gefordert, Politiker „endlich für Fehler zu bestrafen“. Der AfD-Kandidat für das Märkische Oderland, Lars Günter, lud in seinem Wahlkampf zu einem Film ein, der die während der Pandemie „schuldig“ gewordenen Eliten „entlarven“ soll.

Und man staunte, welche Zeitgenossen dem Vorschub leisten. Etwa der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki, der eine politische Aufarbeitung der Pandemie fordert. Diese durchaus nachvollziehbare Forderung begründet er, wie die AfD, mit den angeblich kompromittierenden „RKI-Files“, obwohl sich in denen bei genauer Betrachtung nichts Wesentliches findet.

Wie konnte es dazu kommen, dass eine ganze Gesellschaft sich von Verschwörungsdenkern derart vorführen lässt? Und wie konnte es sein, dass aus dem Wunsch einer politischen Aufarbeitung billigste Rachsucht wurde? Hat dieser Spin – weg von einer vernünftigen Aufarbeitung, hin zum Tribunaldenken – auch etwas mit fehlgegangener Kommunikation zu tun? Begann diese fehlerhafte Kommunikation schon während der Pandemie?

Zwei Personen dieser angeprangerten Eliten, Christian Drosten und Georg Mascolo, haben ein Gespräch über genau diese Zeit verfasst. Schnell erfährt man in ihrem Buch Alles überstanden?, dass sich die beiden durchaus nicht immer einig sind. Und genau das macht den Reiz dieses Buches aus: Beide kritisieren den jeweils anderen und dessen Rolle während der Pandemie, aber es ist eine Kritik, die ganz ohne Verschwörungsdenken auskommt.

Der Journalist Georg Mascolo etwa kritisiert die chinesische Informationspolitik und zugleich die Tatsache, dass die Frage nach der Herkunft des Virus‘ derartig ideologisch aufgeladen wurde. Eine zentrale Rolle spielte dabei ein Paper in der Fachzeitschrift nature science, an dem auch Christian Drosten beteiligt war. Darin wurde die Herkunft des Virus aus der Natur als einzige Möglichkeit dargestellt.

Dazu Mascolo:

Das war ein problematischer Vorgang. Das Paper trug dazu bei, dass ein möglicher Labor-Ursprung öffentlich zu einer reinen Verschwörungserzählung erklärt werden konnte. […] Das Vertrauen, man gehe mit allen möglichen Hypothesen offen um, nahm dadurch Schaden.

Dieser Vertrauensverlust sei durch die Impfpflichtdiskussion noch verstärkt worden. Zunächst erteilten führende Politiker einer Impfpflicht eine klare Absage, dann aber wurde, ebenfalls von Politikern, eine Impfpflichtdebatte entzündet. Das habe das ohnehin schon angekratzte Vertrauen weiter verspielt, zumal die Impfung dann gegen die Weiterverbreitung des Virus doch weniger wirksam war als ursprünglich angenommen. Gerade in diesem Punkt gebe ich Georg Mascolo recht. Die Impfpflichtdiskussion hat wie keine zweite das Vertrauen in die Regierung untergraben, zumal sie sich im Pandemieverlauf mit der Erfahrung der ökonomischen Existenzbedrohung verband.

Man erkennt an diesen Beispielen das Kontroverse des Gesprächs. Hier findet Aufklärung statt und die beiden schonen sich keineswegs. Das zeigt sich im Weiteren in der Auseinandersetzung über die Rolle der Medien. Mascolo fragt Drosten, wo er Berichterstattung vermisst habe.

Ich kann Ihnen mal drei Punkte nennen, die mir persönlich fehlten: Wie wurde an der Pandemie verdient? Um welche Themen dreht sich die Pandemie-Nachbearbeitung in anderen Ländern? Und was war eigentlich das politisch-gesellschaftliche Ziel unserer Pandemiekontrolle: Hatten offene Schulen oder hatte die Wirtschaft Priorität?

Christian Drosten kritisiert den Weg des „Economy first“: Die Pendlerzüge waren voll, doch die Schulen wurden geschlossen. Obwohl Christian Drosten dies bis heute falsch findet, wird gerade seine Person mit den Schulschließungen in Verbindung gebracht.

Beide Gesprächspartner wünschen eine gesellschaftliche Aufarbeitung der Coronabeschlüsse. Als Arzt habe ich allerdings einige persönliche Erfahrungen gemacht, die einer solchen Aufarbeitung entgegenstehen. Auch unter meinen Kollegen habe ich undifferenzierte Schuldzuweisungen erlebt, bis hin zu Hassreden gegen Karl Lauterbach. Hier decken sich meine persönlichen Erfahrungen mit den Forschungen der Sozial-Psychologin Pia Lamberty. Verschwörungsdenken gibt es in jeder Gesellschaft, doch mit der Corona-Pandemie und ihren ökonomischen Folgen verließ dieses Denken den lunatic fringe und kam in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft an.

Als Aufklärer gerät man in diesen Debatten schnell an Grenzen: Der Verschwörungstheoretiker weiß eine große Sache und die ganz gewiss, Aufklärer dagegen kennen viele Einzelheiten, und sie haben Fragen, die sie klären möchten. Gewissheit jedoch ist immer attraktiver als abwägendes Fragen.

Man kann auch sagen: Verschwörungstheoretiker sind auf einem Kreuzzug. Und Kreuzzügler wollen nicht analysieren, sondern schuldig sprechen, sie wollen nicht aufklären, sondern verurteilen. Ihre Gewissheit, die sie mit Wissen verwechseln, stellen sie gegen die angebliche Dummheit der Welt. Erfahrungsgemäß hilft gegen einen solchen Kreuzzug kein Einspruch der Vernunft, umso weniger, wenn dabei wirtschaftliche Ängste instrumentalisiert werden.

Um wieder diskutieren zu können, sollte eine gesellschaftliche Aufarbeitung der Pandemie an drei wissenschaftlich belegte Prämissen geknüpft werden:

1. Prämisse
Das Virus war gefährlich. In der Statistik der Lebenserwartung zeigt sich für alle Kontinente in den Jahren 2020/21 eine Delle, die nur mit SARS-Cov2 erklärt werden kann.

2. Prämisse
Die Impfung war wirksam. Sie verhinderte zwar nicht die Ansteckung, doch Todesfälle, denn sie sorgte für einen milderen Krankheitsverlauf. Im Juni 2024 wurde in der renommierten Fachzeitung The Lancet eine Studie publiziert, die diese Einschätzung belegt.

3. Prämisse
Auch die nicht-pharmakologischen Maßnahmen wie Masken und Kontaktbeschränkungen waren wirksam, Beleg dafür ist ein Text der Royal Society.

Wenn diese drei Prämissen akzeptiert werden, dann kann man über Schulschließungen, Impfpflichtdiskussionen, Freiheitsbeschränkungen etc. diskutieren.

Christian Drosten stellt lapidar fest, was auch meiner Erfahrung entspricht. So schlecht sind wir in Deutschland nicht durch die Pandemie gekommen, trotz unserer überalterten Bevölkerung.  Hinterher ist man immer klüger. Drosten erinnert daher an die Voraussetzungen des Nicht-Wissens:

Ein politischer oder gesellschaftlicher Aufarbeitungsprozess setzt voraus, dass wir die damals herrschende Situation klar vor Augen haben und sie nicht aus einer Warte der überstandenen Gefahr bewerten, sondern aus der Warte der damaligen Bedrohung und Unsicherheit. Denn aus Unsicherheit heraus werden auch beim nächsten Mal die Entscheidungen getroffen werden müssen.

Bildnachweis:
Beitragsbild: IMAGO/Bihlmayerfotografie

Angaben zum Buch

Christian Drosten, Georg Mascolo
Alles überstanden?
Ein überfälliges Gespräch zu einer Pandemie, die nicht die letzte gewesen sein wird
Ullstein 2024 · 272 Seiten · 14,99 Euro
ISBN: 978-3548070322

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Von Herwig Finkeldey

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