Was interessiert an einer Romanfigur, die nichts als ihren Narzissmus vorzuweisen hat? Will man auf 360 Seiten einer Geschichte folgen, die sich ausschließlich mit einem Leben voller Selbstlügen und narzisstischer Selbstbespiegelung befasst?

Der Gedanke, berühmt zu sein, hatte sie immer schon fasziniert.

Die Hauptfigur: Eine Frau, bar jeglicher Empathie, ohne Reflexionsvermögen, selbstgerecht, beziehungslos, bis an die Schmerzgrenze (auch der Leserin) gelangweilt, die bis zum Schluss alle ihre Handlungen und Vorstellungen von der Zukunft auf die Wirkung von außen ausrichtet.

Was sie, der die Männer in Scharen nachliefen, überhaupt wolle? Keiner verstand sie. […] So viel Energie verwandte sie, seit sie denken konnte, darauf, Männer – irgendwelche Männer, wahllos bisweilen fast, irgendwo kennengelernt – für sich einzunehmen, ohne dass sie eigentlich je gewusst hatte, weshalb sie das tat, weil ja doch nichts davon blieb und nie geblieben war, nur die allzu kurze, allzu flüchtige Befriedigung darüber, auch diesem, auch jenem mehr als nur zu gefallen.

Luisa Fischer erfährt als Fünfzehnjährige, dass ihr Vater Robert, in den sie schon als Kind ein wenig verliebt war, nicht ihr leiblicher Vater ist. Nach einem Streit mit der Mutter verlässt sie das Elternhaus. Zwanzig Jahre später steht der Stiefvater, Robert oder „Bob“ oder „Bert“, in Hamburg vor der Tür ihrer Wohnung, wo die beiden fortan hausen, bis sie in die Heimat in Oberösterreich zurückkehren, eine Villa kaufen und abseits der Dorfgemeinschaft leben.

Attitüde einer Schriftstellerin

Was Luisa inzwischen gemacht hat, erfährt man stückweise – das meiste allerdings erfährt man nicht. Zwar ist Luisa zweifache Mutter geworden, von Marie und Eric, die bei ihren Vätern in Göteborg und Kopenhagen wohnen. Warum die Kinder ausgerechnet bei den Vätern wohnen, die von Luisa als gewalttätig und übergriffig beschrieben werden, erfährt man nicht (wir sind allerdings gezwungen, fast ausschließlich der subjektiven Perspektive der Protagonistin zu folgen). Die seltenen Besuche Luisas zeigen, wie sich Mutter und Kinder zunehmend voneinander entfremden. Ob Luisa in diesen zwanzig Jahren einen Beruf ergriffen hat (ein Studium in Wien, was, erfahren wir nicht, hat sie abgebrochen, später hat sie für ein Reisemagazin geschrieben), bleibt weitgehend im Dunkeln, ebenso die Tatsache, weshalb sie offenbar über genügend finanzielle Mittel verfügt.

Im Grunde hatte es bei ihr immer nur Abbrüche gegeben, und auch wenn sie nur für die wenigsten etwas konnte, ließ sie das an ihr Schreiben denken. Hatte sie nicht auch da schon so manche Idee gehabt und sie nach der ersten Begeisterung wieder verworfen, weil ihr auf die Dauer alles zu langweilig wurde?

Kann man aus Langeweile Schriftstellerin werden wollen?

[Sie] setzte sich in ein Café oder, ihre Lieblingsorte unterwegs, eine Hotelbar, bestellte etwas zu trinken und las ein paar Seiten in einem der Bücher, die sie auf die Reise mitgenommen hatte, oder schrieb Sätze in ihr Notizbuch, und dann hatte sie das wunderschöne Gefühl, ihrem lange gehüteten Traum tatsächlich nahe zu kommen und zu leben wie eine Schriftstellerin.

Die Attitüde, die Pose, von außen als Schriftstellerin wahrgenommen zu werden, behält Luisa bis zum Schluss bei:

Sie hatten alle keine Ahnung und würden sich noch wundern, wenn ihr Buch erst einmal fertig war.

Während sie noch kaum etwas geschrieben hat, denkt sie schon an die Rezension ihres Romans, an Auftritte auf Bühnen, in Radio und Fernsehen, an Literaturpreise – und für ihr Schreiben orientiert sie sich offenbar auch an Instagram-Posts.

Liebesbeziehung mit dem Mörder

Luisa begleitet Robert auf dessen nächtlichen Beutezügen, die das Ziel haben, im Zweiten Weltkrieg arisiertes Vermögen, das offenbar in Kellern versteckt ist, an jüdische Hilfsorganisationen zu spenden. Gegen Schluss des Romans, lange nach dem Tod von Robert, wird Luisa eines Besseren belehrt werden: Robert überwies zwar das Geld, das er mit dem Diebesgut gemacht hatte (auch durch den Diebstahl von Maschinen und Werkzeugen), auf ein Konto nach Israel, aber es war sein eigenes Konto, dessen er sich denn auch bedient hatte.

Bei einem dieser Beutezüge, Robert ist ohne Luisa unterwegs, wird er vom Besitzer des Hofes, in dessen Keller er einbricht, überrascht und umgebracht. Obwohl die Polizei anwesend ist, kommt es zu keiner Anklage. Wenige Tage später fährt Luisa zum Hof des Mannes, der Robert getötet hat, spuckt ihm vor die Füße und sagt: „Mörder“, was sie nicht daran hindert, mit eben diesem Mann, Ferdinand Goldberger, eine Beziehung einzugehen und auf dessen Hof zu ziehen, wo er mit seinem (möglicherweise autistischen) Sohn Anton lebt.

Im Grunde waren sie diesem Mann, der Bob erschossen hatte, wohl dankbar. Und wenn sie ganz ehrlich zu sich war: War nicht auch sie selbst ihm, an den sie immer öfter dachte, dankbar? Stand sie dann nicht in seiner Schuld?

Klischees und Redundanzen

Was ist ärgerlicher? Der löchrige Stoff, wo die Recherche oder die eigenen Erlebnisse des Autors durchscheinen und man sich eine konsistente Geschichte irgendwie zusammenstottert? Die Handlung, die über weite Strecken hanebüchen ist (Luisa sucht im Keller des Hofs nach Gold, versucht Anton umzubringen, ihr Bruder Jakob wiederum versucht Luisa umzubringen, Anton schießt mit einem Revolver durch den Kellerschacht auf Jakob)? Die Klischees (über Österreich, Deutschland, Kopenhagen, Schweden) oder Redundanzen, über die man beim Lesen wieder und wieder stolpert? Will man wirklich wissen, wie oft Luisa einen Americano trinkt oder welchen Weißwein? Welche Mittagsmenüs verkauft werden und was Luisa dann letztlich isst? Weshalb die Maklerin Schwierigkeiten hat, die Villa zu verkaufen (die Luisa dann doch nicht verkauft, sondern wo sie, während sie längst bei Ferdinand wohnt, mit Jan schläft)? Wie oft sie „Rouge auflegt“, wie oft sie sich „einen Kaffee herunterdrückt“?

Was anschaulich oder detailgetreu sein will, ist bloß ermüdend:

Sie schlurfte nach unten, schaltete die Kaffeemaschine ein, goss Wasser nach und drückte sich einen herunter. Sie nahm eine lange Dusche, putzte sich dabei auch gleich die Zähne und schnitt sich die Nägel. Zum Abschluss drehte sie das kalte Wasser auf – in letzter Zeit las man wieder viel darüber, wie gesund das sein sollte. Aber sie fand es so unerträglich, dass sie aufschrie und gleich wieder auf warm umstellte und noch ein paar Minuten unterm Wasser blieb, bis ihr wieder warm war. Dann stieg sie aus der Dusche, trocknete sich ab und föhnte sich die Haare. Sie zog sich an und stopfte den Kulturbeutel und das Nachthemd in den nicht sonderlich großen Rollkoffer.

Aber wie in der Beziehung mit Robert, so entfremdet sich auch Ferdinand zunehmend von Luisa. Kein Wunder: Anlässlich einer Trauerfeier, an welcher Ferdinand die Trauerrede hält, geht es Luisa einmal mehr um ihr Bild, das sie abgibt – und um ihr neues Kostüm:

Es ärgerte sie, ein so besonderes Kostüm für die Beerdigung gewählt zu haben, eigens ein neues, im Internet bestelltes, das sie eigentlich für einen ganz anderen Anlass gedacht hatte und das ihr nun verdorben war, weil nicht einer etwas dazu gesagt hatte, als sie nach der Beisetzung noch auf dem Friedhofsparkplatz zusammengestanden waren, als wäre es hässlich.

Am Ende, das Ferdinand herbeigeführt hat, zieht Luisa wieder in die Villa und will noch einmal von vorne anfangen – mit ihrem Roman oder mit ihrem Leben.

Fazit:
Man wundert sich, warum Brennende Felder mit dem Österreichischen Buchpreis 2024 ausgezeichnet wurde. Der Roman ist stofflich überfrachtet, über weite Strecken inkohärent und redundant erzählt, und er hat eine Protagonistin, die man lieber nicht kennenlernen möchte – weder im Roman noch im Leben.

Bildnachweis:
Beitragsbild: Sudhakar Bisen
Angaben zum Buch

Reinhard Kaiser-Mühlecker
Brennende Felder
Roman
S. Fischer 2024 · 368 Seiten · 25 Euro
ISBN: 978-3103975703

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Porträt Marianne Wille

Von Marianne Wille

Marianne Wille lebt als Literaturvermittlerin in Bern. Sie ist guter Literatur mit Haut und Haar verfallen. Im ‚Literaturlabor' versucht sie, interessierten Leserinnen und Lesern Klassiker von Kleist bis Bachmann näherzubringen.

Ein Kommentar

  1. Ein gut geschriebener Verrriss mit einigen Beispielen.
    Ich bin froh, dass man sich hier traut, solche Rezensionen zu verfassen, obwohl das Buch mit einem so großen Preis geehrt wurde.

    Eine „fachliche“ Frage hätte ich — nur um der Diskussion und Neugier willen — doch: Es gibt in der Literaturgeschichte viele Bücher, die unsympathische Charaktere haben (Schuld und Sühne, MacBeth, Madame Bovary), die trotz leicht zu empfindenden Antipathie im Gedächtnis bleiben, den man gerne folgt, und sei es nur, um Zeuge des Untergangs zu werden.
    Gleichzeitig gibt es Figuren, die absolute Symathieträger sind oder sein müssten (ich denke an die Romane von Benedikt Wells, allen voran: „Fast genial“) und doch nicht mitreißen, obwohl sie genauso innere Konflikte und Widersprüche haben, wie die „bösen“ auch.

    Hier nun die Frage: Wann wird ein unsympathischer Charakter mitreißend?

    Liebe Grüße

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