Die vergessene Sci-Fi-Literatur des 17.  und 18. Jahrhunderts

Hania Siebenpfeiffer – Kommentar vom 30.08. 2016

Eine ausführliche und in vielen Punkten stimmige Replik — vielen Dank dafür –, bei der jedoch ein Moment unberührt bliebt, nämlich die fehlenden Bezüge zur Science Fiction des 17. und mehr noch des 18. Jahrhunderts. Das ist ein generelles Manko der SF-Forschung/ SF-Kritik, egal ob in Deutschland (in den Kinderschuhen) oder in Frankreich (schon weiter gediehen) oder im angelsächsischen Raum (wie immer bei populären Genres auch hier Vorreiter): Die Kenntnis der älteren SF-Literatur, also derjenigen Erzählungen und Romane, die vor 1800 verfasst wurden, ist heutzutage minimal, was dazu führt, dass Motive und Themen bis hin zu narrativen Strukturen als Erfindungen bzw. Innovationen von Autor/innen des 19. Jahrhunderts ausgegeben werden, die seit mehr als hundert Jahren bekannt waren.

Im 19. Jahrhundert kannte man diese Texte noch. Laßwitz z. B. hatte Kindermann gelesen, er wusste also, wie eine Blaupause zum Bau eines Luftschiffs in einen literarischen Text integriert werden kann. Er kannte auch Geiger, d. h. er wusste, wie der Besuch eines Marsianers auf der Erde gestaltet werden konnte (oder besser nicht gestaltet werden sollte) und er kannte natürlich die utopische Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Auch die vermeintliche Koinzidenz bei Wells und Laßwitz ist nicht wirklich überraschend, denn Szenarien einer Kolonialisierung der Erde durch den Mars, des Mars durch die Erde oder auch gegenseitig wurde zwischen 1880 und 1910 in rund 25 teilweise überaus erfolgreichen Romanen und Erzählungen durchgespielt (mehrere wurden später verfilmt). Ich will die Leistung von Auf zwei Planeten damit nicht schmälern, sie liegt nur nicht so sehr in der Erfindung von Neuem (auch wenn Laßwitz tatsächlich eine Vielzahl technischer Geräte antizipiert), sondern in der ästhetischen, medialen und politischen Aktualisierung eines bereits etablierten Genres. Und das ist Laßwitz wirklich ausgesprochen gut gelungen.


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Von Redaktion

Ein Kommentar

  1. Albert Maly-Motta 20. März 2017 um 15:35

    Für mich ist Kurd Laßwitz’ Roman “Auf zwei Planeten” ein frühes Beispiel für die Beschreibung eines “Kulturschocks” . Eine höher entwickelte Zivilisation trifft auf eine weniger entwickelte. Wie sehr diese Begegnung beide Zivilisationen verändert, ist der eigentliche Gegenstand des Romans. die höher stehende Zivilisation sinkt aufgrund der Begegnung mit den “Primitiven” hinunter, die unterlegene muß sich entweder sehr schnell weiterentwickeln oder sang-und klanglos untergehen.
    Dabei liegt die Ironie natürlich darin, daß die Unterlegenen ausgerechnet die sich ach so überlegen dünkenden “Dichter und Denker” in Deutschland und die Imperialisten in England sind. Die an der Pol-Expedition beteiligten Wissenschaftler nehmen die Erkenntnis der Existenz einer außerirdischen Zivilisation dagegen recht gleichmütig auf und finden sich schnell in die Verhältnisse.
    Verblüffend ist immer wieder für mich, daß Lasswitz dieses Buch in einer Zeit der blinden Militär-Verherrlichung, der Pickelhauben, der aufgezwirbelten “Es ist erreicht”-Schnurrbärte und des “Hauptmanns von Köpenick” veröffentlicht hat. Seine zutiefst humanistische “Message” muß doch in dieser Atmosphäre auf großes Unverständnis gestoßen sein. Die späteren Machthaber von 1933 haben das Buch dann auch prompt auf den Index gesetzt, was dafür spricht, daß es auch 30 Jahre nach dem Erscheinen durchaus im Gespräch war.
    Gerade heute, im Zeitalter der “fake news”, der Laut-Sprecher im öffentlichen Raum und der galoppierenden Populisten ist die leise und nachdenklich daherkommende Geschichte von “Auf Zwei Planeten” wieder besonders aktuell.
    Der Gegensatz zu H.G. Well’s Mars- Invasion könnte gar nicht größer sein: Wells hat die lauten und an einen US-Actionfilm erinnernden Szenen seines Buchs nicht dazu benutzt, irgendwelche Einsichten über die Conditio Humana zu verbreiten; seine Geschichte ist ein gut gemachter “Reißer” auf dem Niveau der damals üblichen Kolportage-Geschichten. Er nutzt die Marsbewohner nur als gesichtslose Monster, die die Erde in Schutt und Asche legen. Am Ende werden sie von ebenso gesichtslosen Bakterien besiegt, gegen die sie keine Abwehrkräfte haben.
    All diesen simplen Klischees ist Laßwitz von vornherein aus dem Weg gegangen. Dafür sind manche seiner Figuren klischeehaft und undeutlich gezeichnet. Aber die reine Abenteuer-und Action-Geschichte tritt immer wieder zugunsten des menschlichen Moments in den Hintergrund. Hier ist Laßwitz auch anderen Zeitgenossen wie Jules Verne deutlich überlegen.
    Die Idee, daß ein Sohn eines Marsbewohners bereits unerkannt auf der Erde lebt, nimmt den unvergeßlichen Thomas Jerome Newton aus Walter Tevis’ “The Man who Fell to Earth” vorweg. Und die von Schwerefeldern über dem Nordpol gehaltene “Außenstation”, auf der die Raumschiffe der Marsianer andocken, ist der Station aus “2001” wirklich sehr ähnlich. Echos aus diesem Buch ziehen sich also durch die Literatur-und Filmgeschichte. Und so manche Wissenschaftler wie Hermann Oberth, der mit seinem Buch “Die Rakete zu den Planetenräumen” den Grundstein zur bemannten Raumfahrt gelegt hat, oder Wernher von Braun haben sich auf Laßwitz als Inspiration bezogen.
    Ich hoffe darauf, daß irgendwann einmal dieser Roman als Gegenstand für einen sensibel gemachten Film dienen wird. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten kann man die Welten des Kurd Laßwitz gestalten.

    A. Maly-Motta

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