Die Frauen erwarten kein Mitleid, sondern eine Begegnung von gleich zu gleich. Krieg, Gewalt und Flucht haben sie nicht gebrochen. Mit ihrer Ausstellung Frauen im Exil im Tempelhof Museum (bis zum 15. Januar 2017) fordert uns die Fotografin Heike Steinweg dazu auf, Flüchtlinge und insbesondere geflüchtete Frauen nicht als Opfer zu betrachten, sondern als Menschen mit Gefühlen und Träumen, auch jenseits der Erfahrung von Angst, Gewalt, Flucht und Tod. Frau sein bedeutet, Leben hervorzubringen, und dank dieser naturgegebenen Macht sind Frauen vielleicht stärker als Männer mit dem Wissen verbunden, dass die Zukunft besser werden kann, wenn man es will.
So, wie Heike Steinweg diese Frauen fotografiert hat, strahlen sie Macht und Handlungsfähigkeit aus, einige vermögen es sogar, ihren Peinigern zu verzeihen. Fadwas Blick ist direkt und ernst, fast einschüchternd.
Fadwa:
„Es geht um Vergebung. Ich möchte, dass keine Mutter mehr ihren Sohn verliert, keine Schwester ihren Bruder, keine Tochter ihren Vater und keine Ehefrau ihren Mann. Nur wenn wir einander vergeben, können wir uns versöhnen und unser Land wiederaufbauen.“
Die Bilder verraten uns nicht, woher die Frauen kommen. Zu jeder Fotografie gibt es einen Text: Die Frauen sprechen uns an, und sie sagen uns, dass das Leben auch unter den schwierigsten Umständen gut sein kann, solange wir nur eine Zukunft vor Augen haben.
Askalu:
„Auf der Überfahrt von Libyen hatten wir vier Tage lang nichts zu essen. Aber es war nicht schlimm, ich habe keinen Hunger gespürt, weil ich Europa vor Augen hatte.“
Wenn die Heimat nicht mehr sicher ist
Heike Steinweg fordert uns mit ihrer Ausstellung dazu auf, aktiv zu werden. Zwei große Alben liegen auf dem Tisch, sie enthalten keine Fotos, sondern Texte auf Deutsch, Englisch und Arabisch, von Hand geschrieben, manche umfassen viele Seiten. Man sollte Zeit und Mut mitbringen, sie zu lesen.
Hier findet man die biografischen Angaben, auf die Heike Steinweg bei den Porträts verzichtet, weil sie uns die Frauen als Menschen zeigen will, unabhängig von ihrem Schicksal. In dem Buch berichten die Frauen über die Reise nach Deutschland, sie erzählen von Grausamkeiten und Gefängnis, aber auch von der Hoffnung, endlich in Sicherheit zu gelangen. Unter ihnen finden sich Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und auch Journalistinnen. Die syrische Schriftstellerin Kefah Ali Deeb schreibt über die Bedeutung von Heimat:
„Heimat ist das Gefühl der Verantwortung gegenüber einer bestimmten Geografie und das Bedürfnis, sie zu verteidigen und ein schöneres Bild von ihr zu gestalten, auch während sie in der Hölle des Krieges steckt.“
Die Frauen sind uns näher, als wir denken
Heike Steinweg ist es wichtig, diese Texte auch auf Arabisch zur Verfügung zu stellen: Die Texte sollen Flüchtlinge ermutigen, die sich die Ausstellung anschauen. Unter den Blicken der lebensgroß porträtierten Frauen blättern wir in dem Buch und erfahren, was es bedeutet, im Exil zu sein.
Hend:
„Im Exil lebe ich meine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zur selben Zeit. Meine Vergangenheit zieht mich mit aller Macht zurück und will, dass ich ihre Gefangene bleibe – das macht mir nichts aus, denn es gibt mir ein warmes Gefühl, auch wenn es nicht echt ist. … Ich erinnere mich ständig, wie meine Mutter mich, als wir auf dem Todesboot waren (so werden sie genannt), auf Trab hielt, um am Leben zu bleiben, und mich das Wasser aus dem Boot schöpfen ließ … Nun bin ich also hier … und versuche, die Sehnsucht aus meiner Seele zu schöpfen … versuche, stark zu sein … und hoffe zu leben … zu arbeiten … es zu schaffen … zu lieben.“
Die meisten dieser Texte sind nicht digital erfasst, man kann sie nicht mitnehmen oder reproduzieren. Und so sind wir in dieser Ausstellung selbst wie Flüchtlinge: Wir können nur das Wesentliche mitnehmen, unsere Erinnerungen und Gefühle. Ich habe mich nicht verabschiedet lautet der Titel der Ausstellung, und wenn wir die Texte lesen, im Buch oder unter den Fotografien, spüren wir, dass diese Frauen uns näher sind, als wir denken.
A. dreht uns in ihrem Porträt den Rücken zu, wir erfahren keinen Namen und sehen kein Gesicht, sondern nur langes dunkles Haar. Sie spricht für alle:
A.:
„Ich möchte über meine Gefühle sprechen, meine Gefühle sind universell und jeder kann sie verstehen. Es kommt nicht auf mein Gesicht an, nicht auf meine Nationalität, nicht auf meine Religion und nicht auf meine Hautfarbe. Aber meine Gefühle kann jeder verstehen, meine Traurigkeit darüber, dass ich nicht mehr in meine Heimat zurück kann.“