Die Resultate der Europawahlen sind deprimierend, das Echo darauf ebenfalls. Man muss dabei nicht nur das Triumphgeheul der Rechtspopulisten ertragen, sondern auch noch den altlinken moralischen Zeigefinger, der uns schon immer ermahnt hat, es mit Wokeness und Diversität nicht zu übertreiben. Die selbsternannte Mehrheit fühle sich von „skurrilen Minoritäten“ (Sarah Wagenknecht) bedroht, und wenn sie sich nicht mehr als Mehrheit empfinde, dann raste sie eben aus. „Ihr habt nicht drauf gehört. Jetzt habt ihr die Quittung, ich hab‘s euch ja gesagt.“

„Like many other deadly stupid phrases this one also seemed too tough to be silenced. So I buried it alive.“ Das sagt der Komponist Herbert Brün zu seinem Stück I toLD you so: „Wie viele andere tödlich dumme Phrasen schien auch diese zu zäh, als dass man sie hätte zum Schweigen bringen können. So habe ich sie lebendig begraben.“

I toLD you so ist eine Komposition aus dem Jahr 1981 für Tonband, ein Werk aus der Steinzeit der computergenerierten Musik, als die Komponierenden ihre Programme noch selbst herstellten. Die elektronischen Klänge wirken schroff und archaisch. 

Hier kann man sich das gut 12 Minuten lange Stück anhören:

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Der Satz „I told you so“ besteht aus vier einsilbigen Wörtern. Herbert Brüns Umsetzung dieses Satzes ist genial: Er bemüht dabei weder Emotionen noch die Struktur der Sprache, nicht einmal der Klang der Vokale und Konsonanten spielt eine Rolle. Es ist der Tonfall, der das ganze Stück dominiert.

Die Sprachmelodie der vier Silben I – told – you – so: ein Aufstieg von I zum told, dann verbleiben wir auf der Tonhöhe told – you (eine Tonrepetition), dann stürzt die Melodie zum so rasant in die Tiefe. Man fühlt sich an einen Cartoon erinnert.

Es ist dieser besserwisserische Tonfall, den man sein Leben lang gehört hat: als Kind, wenn man etwas wagte, was nicht gelang; als Jugendlicher, wenn man seinen eigenen Weg gehen wollte und etwas schiefging; als politischer Mensch, wenn man etwas verändern wollte und an der eisernen Macht der Gewohnheit scheiterte.

„Wollen wir weg vom Verbrennermotor?“
„Das wird’s in Deutschland niemals geben!“
I told you so!
ta-ti-ti-to.

Kunst, die sich mit den gesellschaftlichen Realitäten auseinandersetzt, hat meist eine Botschaft, manchmal plakativ, manchmal kryptisch. Sie klagt Unterdrückung an, oder sie feiert politische Befreiung. Doch nichts davon findet sich in dieser Komposition von Herbert Brün. Ihre einzige Wirkung besteht darin, dass dieser Satz nervt, und zwar gewaltig.

Die Komposition selbst nervt ebenfalls, auf amüsante Weise. Es ist wie bei einem Suchbild: Je länger wir zuhören, desto mehr erkennen wir überall die vier Silben in kontrapunktischer Verdichtung. Das erzeugt einen Strudel im Gehirn. Wenn das Stück zu Ende ist, haben wir nur noch den Wunsch, diese grässlichen Worte nie mehr zu hören.


Zum Komponisten Herbert Brün (1918-2000)

Herbert Brün 1995
Herbert Brün 1995 (Wikimedia)

Herbert Brün wurde 1918 geboren und verließ Deutschland 1936 als Achtzehnjähriger. Er ging nach Palästina, wo er unter anderem bei Stefan Wolpe Musik studierte. Seine Eltern blieben in Deutschland und wurden von den Nazis ermordet. 1955 verließ er den neugegründeten Staat Israel und kehrte nach Europa zurück, wurde jedoch 1963 vom Komponisten Lejaren Hiller für ein Forschungsprojekt an die University of Illinois at Urbana-Champaign eingeladen. Dort verbrachte er den Rest seines Lebens als Professor für Musik.

Urbana-Champaign war damals eines der wichtigsten Zentren für experimentelle Musik in den USA, neben Brün unterrichteten Komponisten wie Kenneth Gaburo und Salvatore Martirano. Brüns Kompositionen sind zwischen 1945 und 2000 entstanden. In den frühesten Werken hört man noch den Einfluss eines, wenn auch sehr ungebärdigen, Neoklassizismus. In Brüns Musik fehlt nicht nur der Schönklang traditionellen Zuschnitts, sondern auch viele Platitüden der Nachkriegs-Avantgarde.

Nirgends wird dies deutlicher als in seiner elektronischen Musik, die oft mit Klängen von extremer Hässlichkeit operiert: Die elektronischen Klänge sind als solche erkennbar und nicht hinter der Imitation anderer Klänge versteckt. Im Weiteren legen diese rohen Töne das offen, worum es Brün bei seinen Kompositionen ging: den Ablauf des Stücks und den Gedanken in der Musik.

Es erstaunt, dass Brüns Werk in Europa nicht einmal dem Fachpublikum für neue Musik vertraut ist. Doch Herbert Brün war nicht unzufrieden mit seiner Karriere. Er sei nie gezwungen gewesen, Kompromisse einzugehen. „I never had a cup of coffee with a bastard.“

Im Deutschlandfunk Kultur gab es 2020 ein Feature von Carolin Naujocks über Herbert Brün: Musik und Information (53 Minuten).

Bildnachweis:
Beitragsbild: John Howard via flickr CC by 2.0

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Von Tomas Bächli

Pianist und Musikschriftsteller, lebt in Berlin.

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