Der Künstler Günter Greilach lebt, zusammen mit seiner Ehefrau Natascha, zunehmend vereinsamt in einer oberhalb des Dorfs gelegenen Mühle. Seit Jahren warten die beiden auf die immer wieder angekündigte und dann abgesagte Ankunft eines kunstwissenschaftlich arbeitenden Doktoranden. Dieser soll eine Arbeit über Greilach verfassen, und der Künstler hofft, dadurch seine im Kunstbetrieb verloren gegangene Reputation wieder zu erlangen. Das ist natürlich absurd. Doch die Sehnsucht nach Erfolg ist stärker als jede erdende Nachfrage.

Imaginationen

Der Ehefrau wiederum erscheint der so lange schon angekündigte Doktorand als ein ganz anderes Wunschbild:

Seine großen, dunklen Augen, sein scharf geschnittener Mund, seine dichten schwarzen Locken.

So imaginiert sie ihn sich. Er erscheint dann, nächtens, und findet zunächst den versteckten Weg nach oben nicht, den Weg zur Mühle und zur Kunst. Er landet stattdessen, in Anlehnung an Kafkas Landvermesser, in der Gaststätte des Ortes unten im Tal.

Wie in einem Film so unwirklich […] aus dem Nichts

taucht er schließlich in der Mühle auf. Für die Greilachs eine Enttäuschung: kein Latin Lover, sondern ein ewig das Smartphone bearbeitender, wenig geselliger Zeitgenosse mit Hängeschultern.  Natascha Greilach reflektiert ihre Fehleinschätzung:

Wie hätte sie auch einen Menschen beschreiben sollen, der nur in ihrer Vorstellung existiert? Dazu fehlte es ihr schlicht an Ausdrucksmöglichkeiten. Sie war ja, zum Glück, keine Künstlerin.

Der Künstler im Haus ist ihr Mann. Der glaubt zunächst, seine Rechnung würde aufgehen.

Wie Zwerge stehen wir vor der Größe unseres Schaffens.

So schwafelt er im Gespräch mit dem Doktoranden daher. Doch der hat wenig übrig für solche Zwerge. Überhaupt hat er seine Dissertation längst ad acta gelegt. Und in Umkehrung der Kafkaschen Konstellation ist es nicht der Doktorand, der nie nach oben gelangt, zum „Schloß“, es sind die beiden Bewohner der romantischen Kunstmühle, die ihm, dem Doktoranden, nie nahekommen. Sie bleiben gefangen in ihren Projektionen, und darüber hinaus sind sie in einen veritablen Ehekleinkrieg verstrickt.

Kleinkrieg eines alternden Ehepaars

In den absurden Dialogen mit dem unwilligen Doktoranden und im verbalen Kampf des alternden Ehepaars – schriftstellerisch das Beste an diesem Buch – erinnert der Roman an Edward Albees Theaterstück Wer hat Angst vor Virginia Woolf? Wie bei Albee gräbt die Ehefrau dem schmallippigen Intellektuellen mit ihrem Mutterwitz ein ums andere Mal das Wasser ab.

Der Künstler kennt kein Dasein ohne inhaltsleere Selbstkommentare. Nervtötend doziert er über seine Kunst und deren Weltbezug:

All diese Bilder hier […] sind Räume, die ich als Erster betreten und urbar gemacht habe, so dass sie jetzt der ganzen Menschheit zur Verfügung stehen. So wie sich der Strich beim Zeichnen durch diese endlose Leere quält, die ihn auf dem Papier umgibt, so habe auch ich mich immer wieder auf den Weg gemacht.

Seine Frau kontert:

„Hörst du denn gar nicht, was für einen Unsinn du redest!

[…] womöglich glaubst du noch an das, was du da sagst. Nur unterschätzt du dich dabei ausnahmsweise mal vollkommen. Du musst dich nämlich gar nicht aufmachen. Ein Blick in den Spiegel würde bereits vollends genügen, dass dir diese ganze Leere, von der du träumst, in voller Pracht entgegenscheint.“

Jan Peter Bremer hat ein Buch über Sehnsüchte und Projektionen geschrieben. Zugleich ist es ein Buch über die Sucht des Künstlers nach Anerkennung.

Und der Doktorand, was bewegt ihn? Warum ist er überhaupt in die Mühle gekommen? Das sei nicht verraten. Hier nur so viel: Seine Verweigerung, im Kunstbetrieb mitzumachen und die Motive dafür, sind die eigentliche Pointe dieser Satire auf den Kunstbetrieb.

Bildnachweis:
Beitragsbild: Gemeinfrei, via pxhere
Buchcover: Verlag

Jan Peter Bremer
Der junge Doktorand
Roman
Berlin Verlag 2019 · 176 Seiten · 20 Euro
ISBN: 978-3-8270-1389-7

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Von Herwig Finkeldey

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