Was haben der Terrorist Anders Breivik, der „Eurasien“-Verfechter Alexander Dugin und der Dschihadist Abu Musab al-Suri miteinander gemein? Den Hass auf Europa und seine Werte, antwortet Claus Leggewie in seinem Essay Anti-Europäer.
Der Begriff „Gegnerforschung“ kommt aus der nationalsozialistischen Propaganda und wurde vom Soziologen Wolf Lepenies neu interpretiert (vgl. seine Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels). Leggewie wendet die Methode der Gegnerforschung nun in seiner Lektüre der Texte von Breivik, Dugin und al-Suri an. Er stellt eine erstaunliche geistige Nähe dieser Extremisten zueinander fest, sowie zum Mainstream in unserer Kultur:
Den „Breivik ohne Utoya“ geben viele. Populisten und Islamverächter distanzieren sich von Breiviks Tat, aber sie sprechen seinen Text.
Das Abendland als Stammesgemeinschaft
Als erstes analysiert Leggewie Anders Breiviks Manifest 2083 – Eine europäische Unabhängigkeitserklärung. Die Zahl 2083 bezieht sich auf das vierhundertjährige Jubiläum der Schlacht am Kahlenberg bei Wien, wo eine christliche Allianz am 12. September 1683 die zweite Belagerung der Stadt durch die Türken beendete. Die Lektüre der 1500 Seiten sei „eine wahre Qual“, so Leggewie, doch helfe sie, die Quellen von Breiviks Weltanschauung aufzuspüren. Breiviks Ideen gehen auf antiislamische Autoren wie Richard Spencer und Gisèle Littman zurück. In dem dreiteiligen „Konvolut“ Breiviks geht es im Weiteren um „ethnische Reinheit“, um das „Abendland als Stammes- und Religionsgemeinschaft“, um Europa als monokulturelles Gebiet. Hiermit gehört Breivik zu den sogenannten Identitären, deren Abschottungsdiskurs und Identitätspolitik „längst in die Mitte der europäischen Gesellschaft vorgedrungen” seien.
Der erste Teil von Breiviks Unabhängigkeitserklärung zum Beispiel widmet sich dem ständigen Nachgeben „gegenüber europäischen Multikulturalisten“, sprich Humanisten, Feministinnen und „Kulturmarxisten“. Im Grund sei Breiviks Manifest der Aufruf zu einer Konservativen Revolution:
Breiviks Welt, die spätesten 2083 wieder heil sein soll, ist das auf der patriarchalen Kleinfamilie beruhende, aus christlichen Nationen gebildete Abendland, das sich von Muslimen vollständig gesäubert hat.
Die Tatsache, dass Breivik bei seinen Anschlägen keine Muslime ermordet hat, sondern junge Norweger, zeigt nach Leggewie, wer seine wahren Feinde sind: Linksliberale, Schwule, Feministinnen und Befürworter der kulturellen Vielfalt, also Menschen, die an eine demokratische, solidarische Gesellschaft glauben.
Die Eurasische Autokratie
Dies sind auch die Feinde von Alexander Dugin, der von einer Eurasischen Autokratie träumt, einem Europa unter der Führung von Putins postsowjetischem Russland. Die Vision von der plebiszitären und gelenkten Demokratie hat auch in Westeuropa ihre Anhänger.
Einige Denkfabriken der Neuen Rechten haben das Vordringen russischer Soldaten und Freischärler auf das Gebiet der Ukraine gutgeheißen, noch weit mehr Europäer können einem ‚Dugin ohne Neurussland’ etwas abgewinnen.
Auch Dugin, so stellt Leggewie anhand von dessen Texten fest (etwa Die Vierte Politische Theorie), steht für die Konservative Revolution – ein Oxymoron, das schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Benennung einer rechtsorientierten Strömung verwendet wurde. Dieses Denken findet Leggewie bereits in Carl Schmitts Legalität und Legitimität von 1932:
Das Volk kann nur Ja und Nein sagen; es kann nicht beraten, deliberieren oder diskutieren; es kann nicht regieren und nicht verwalten; es kann auch nicht normieren, sondern nur einen ihm vorgelegten Normierungsentwurf durch sein Ja sanktionieren. Es kann vor allem auch keine Frage stellen, sondern nur auf eine ihm vorgelegte Frage mit Ja oder Nein antworten.
Auch die „Scheidung von Freund und Feind“, laut Leggewie derzeit der „Kern alles Politischen“, geht auf Carl Schmitt zurück. In Politische Theologie (1922) heißt es:
Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch hässlich zu sein, er muss nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft und rentabel scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er bleibt aber ein Anderer, ein Fremder.
Der Dschihad als religiöse Revolution
In der Aussage von den Fremden als Feinden stößt man auf eine wesentliche Gemeinsamkeit von Identitären, Neo-Eurasiern und Dschihadisten. In seinem „Aufruf zum weltweiten islamischen Widerstand“ hat Abu Musab al-Suri die Grundidee für die Anschläge in Paris, Brüssel und Berlin vorgegeben: Er ist der Erfinder der Taktik kleiner, selbständig agierender Terrorzellen, die im Herzen westlicher Großstädte die Besucher von Stadien, Theatern und Weihnachtsmärken ins Visier nehmen. Leggewie zieht Parallelen zu den Extremisten Europas und Russlands:
Mutatis mutandis kommt er hier zu ähnlichen Schlüssen wie Dugin über die Multipolarität der Weltpolitik, und mit Breivik postuliert er die Notwendigkeit der Wiederkehr religiöser Überzeugungen.
Statt einer konservativen haben wir beim Dschihadisten al-Suri eine religiöse Revolution, das Ziel jedoch ist das gleiche:
Die Protagonisten kommen aus unterschiedlichen Traditionen und führen nicht denselben Kampf. Gemeinsam ist ihnen jedoch das Feindbild: Europa in seiner dreifachen Gestalt als Wertegemeinschaft, gemeinsamer Markt und politische Union – und die Zielsetzung: die Auflösung der Grauzonen, die Stärkung des „Eigenen“ gegen das „Fremde“, die Politisierung des Raums und die religiöse „Verschärfung“ des Politischen.
Claus Leggewie hat nicht nur die Gemeinsamkeiten dieser drei Strömungen herausgearbeitet, sondern er zeigt auch die Berührungspunkte dieser Extremisten mit politischen Bewegungen, die in Europa und in den USA auf dem Vormarsch sind.
Noch regieren die Faschisten in Europa nicht, aber es gibt zu denken, dass der Anstoß zu Leggewies Buch ein Satz aus Stefan Zweigs Abschiedsbrief war. Er scheide aus dem Leben, schreibt Zweig am 22. Februar 1942 im Exil in Rio de Janeiro,
da die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet.
Anti-Europäer
Breivik, Dugin, al Suri &Co.
Suhrkamp Verlag 2016 • 176 Seiten • 15 Euro
ISBN: 978-3-518-07145-8
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