Die Diskussionen über Macht und Moral, über Politik und Kunst, die jetzt anlässlich von Anna Netrebkos und Valery Gergievs Nähe zu Putin aufkommen, kennt man bereits aus der Nachkriegszeit. Damals ging es um die Verstrickungen des Dirigenten Wilhelm Furtwängler oder der Pianistin Elly Ney mit der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie.

Beschädigt das politische Versagen eines Musikers seine künstlerische Leistung, oder sollte man die beiden Bereiche so gut wie möglich auseinanderhalten?

Diese Frage lässt sich nicht trennen von der Rolle der ausführenden Musiker im musikalischen Prozess. Mir ist die deutsche Bezeichnung „Interpret“ suspekt, der angelsächsische Ausdruck „Performer“ liegt mir näher. Ich will die Bedeutung der ausführenden Musiker:innen keineswegs kleinreden, ich bin sogar der Meinung, dass sie eine Partitur im Voraus interpretieren, also verstehen müssen. Aber im Moment der Aufführung sind Musiker Performer und keine Hohepriester.

Darum sträubt sich auch etwas in mir, wenn ausführende Musiker als Künstler bezeichnet werden. Die Performer sind keineswegs so unersetzlich, wie uns der kommerzielle Musikbetrieb weismachen will. Bei Komponist:innen ist das anders. Wer sich mit der Musik des neunzehnten Jahrhunderts beschäftigt, kommt an Richard Wagner nicht vorbei, trotz seiner antisemitischen Pamphlete, und das musikalische zwanzigste Jahrhundert wiederum ist undenkbar ohne Anton Webern, auch wenn er in der Zeit der Naziherrschaft ein politischer Geisterfahrer war.

Das gilt für die Performer viel weniger. Klar gibt es auch bei Geigern und Pianistinnen Ausnahmeerscheinungen. Aber selbst für die größten Überflieger gilt, dass sie zwar sehr viel können – aber andere können eben auch viel. Wenn ein Musikliebhaber behauptet, er könne sich Mozart nur mit einem bestimmten Sänger oder einer bestimmten Pianistin anhören, dann hat das für mich einen leichten Geschmack von Bildungsspießertum.

Was heißt das nun für Netrebko und Gergiev? Sie sind gut. Aber es geht auch ohne sie. Ist das unfair gegenüber Musikern, die niemals in politisch heikle Situationen geraten sind? Natürlich ist das unfair, aber es gibt nun einmal kein Recht auf eine störungsfreie Karriere.

Im westlichen Musikbetrieb wird eifrig diskutiert, ob es rechtens sei, angesichts der russischen Invasion die Putinunterstützer zu canceln. Für mich stellt sich eine andere Frage: Will ich mir diese Musiker:innen noch anhören? Gerade bei Performern ist es schwierig, künstlerischen Ausdruck und politische Haltung zu trennen. Das hat mehr mit Ästhetik zu tun als mit Moral. Anna Netrebko kann als Opernsängerin Emotionen auslösen – das führt automatisch zur Frage, welche Emotionen mitspielten, als sie in den Separatistengebieten den imperialen Geist Neurusslands beschwor. Da wurde aus dem Spiel mit den Gefühlen Ernst. Wenn der Dirigent Gergiev seine Musiker durch die standardisierten Hits der Symphonik peitscht, fällt es mir schwer, nicht an seinen Präsidentenfreund zu denken, der mit denselben Führungsqualitäten in der Ukraine Geburtskliniken, Holocaustgedenkstätten und Atomkraftwerke bombardiert.

Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass die ausführenden Musiker physisch präsent sind, dank Youtube kann man ihnen bei der Arbeit zuschauen. Vielleicht wird auch die Zeit etwas ändern. Die alten Aufnahmen des Pianisten Alfred Cortot höre ich mir gerne an, trotz seiner fatalen Rolle im Vichy-Regime.

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Beitragsbild: 18percentgrey via iStock (bearbeitet)

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Von Tomas Bächli

Pianist und Musikschriftsteller, lebt in Berlin.

2 Kommentare

  1. Was hier leider nicht bedacht wird ist die Frage, ob diese Künstler Putin nicht nur deshalb unterstützen (oder sich nur deshalb ihm gegenüber neutral verhalten, bzw. nicht distanzieren), weil sie wissen, dass wenn sie Kritik an ihm üben, ihre Freunde und Verwandten in Russland dann darunter leiden! Für jedes negative Wort das sie bei uns im sicheren Deutschland äußern müssen dann ihre Liebsten in Russland büßen. Da der Autor doch weiß was für ein Typ Putin ist, sollte ihm das eigentlich auch klar sein, oder?

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    Das ist richtig, man soll nicht über Menschen politisch urteilen, ohne die genauen Umstände zu kennen. Allerdings gibt es ja nicht nur den Menschen Netrebko, sondern auch das Markenzeichen Netrebko, ein von Spindoktoren sorgfältig poliertes Image. Es ist dieses Markenzeichen, auf das ich eine Weile verzichten möchte.

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