Vor 75 Jahren verübte Claus Graf Schenk von Stauffenberg sein Attentat auf Adolf Hitler. Die Einordnung der Tat und die Motivation des Täters sind bis heute Anlass für Diskussionen. Historische Forschung wird fast immer von ideologischem Hintergrundrauschen begleitet. Bei diesem Thema jedoch scheint dieses Rauschen alles andere zu übertönen – und das seit Jahrzehnten.
In der Positionierung zu Stauffenberg sowie zum militärischen Widerstand gegen das NS-Regime im allgemeinen findet sich das gesamte gesellschaftliche Spektrum abgebildet: Von der ersten Wertung der Tat als Vaterlandsverrat unmittelbar nach dem Krieg über ihre Heroisierung als Ausdruck glühendster Vaterlandsliebe bis hin zur Kritik von linker Seite, das Attentat der „schuldig gewordenen Offizierskaste“ sei erst erfolgt, als die Niederlage absehbar war.
Widerstand im Angesicht der Niederlage
Bis in die 70er Jahre spielte die Frage, inwieweit der militärische Widerstand gegen Hitler durch die deutschen Verbrechen motiviert war, praktisch keine Rolle. Aber als sich nach der Erstausstrahlung der amerikanischen Serie Holocaust im Jahr 1979 der Fokus der historischen Forschung auf den Mord an den europäischen Juden richtete, behauptete der Historiker Peter Steinbach nur wenige Jahre später, 1984 in der Gedenkrede zum vierzigsten Jahrestag des Attentats, die Tat sei Ausdruck einer „moralischen Rigidität“ des militärischen Widerstands.
Joachim Fest hingegen vertritt in seinem Buch Staatsstreich, anlässlich des fünfzigsten Jahrestags, eine deutlich realistischere Sicht. Danach war der militärische Widerstand immer auch ein Spiegel der militärischen Lage. Während der siegreichen Feldzüge der deutschen Wehrmacht war an eine offene Verweigerung des Militärs nicht zu denken – auch, weil die Verschwörer Angst vor einer neuerlichen Dolchstoßlegende hatten. Erst als die Niederlage sich abzuzeichnen begann, reaktivierte sich der zwischenzeitlich brach liegende Widerstand.
Polierte Geschichtsbilder
Auffällig ist auch, dass die Protagonisten des Widerstands in der öffentlichen Diskussion gern zu makellosen Heiligen stilisiert werden. Antisemitische Äußerungen Stauffenbergs „erklärt“ dessen Biograf Peter Hoffmann 1994 so: „Die gegenwärtige ‚korrekte‘ sprachliche Scheu vor allem, was als abschätzige Äußerung über Juden aufgefasst werden könnte, die kannte er nicht.“ Es war, als dürften die Offiziersröcke der Verschwörer keinen Fleck aufweisen.
Wem dienen diese gereinigten Geschichtsbilder? Und was hat es zu bedeuten, wenn wir die Verschwörer nur gereinigt und poliert würdigen können, und nicht als die widersprüchlichen Menschen, die sie waren? Zumal in den letzten Jahren auch die Neue Rechte an diesem Heldenmythos partizipieren will, namentlich der Stauffenberg-Verehrer Götz Kubitschek. Er hat hierbei einige Positionsvorteile. Denn Stauffenberg war nicht nur dezidiert antisemitisch, er sah sich und seinen Stand auch als geistige Elite Deutschlands. Hierbei stand ihm vor allem Stefan George und dessen Konzept des „Geheimen Deutschlands“ vor Augen. Gemeint ist eine romantisch verklärte Sicht, nach der unter der flachen und unbedeutenden Oberfläche Deutschlands geistige Strömungen darauf hinwirken, dass das Land durch eine würdige Leitgestalt zu jener Höhe emporgehoben werde, die ihm eigentlich zukomme. Dieses Konzept passt genau in Kubitscheks Denken, wie er in seinem Aufsatz „Das Schwert des Geheimen Deutschland“ bereits 2004 dargelegt hat.
Elite und Pöbelherrschaft
Diese Nähe des Attentäters zu antidemokratischen Strömungen holt der George-Kenner Thomas Karlauf in seiner soeben erschienenen Stauffenberg-Biografie ins Zentrum, während viele frühere Werke diese problematischen Züge mit Schweigen übergehen.
Karlauf zeigt, dass Stauffenbergs Widerstand gerade aus seiner elitären Weltsicht im Geiste Georges erwuchs. Nach anfänglicher Begeisterung für den Nationalsozialismus, auch für dessen „Rassenpolitik“, sieht er später im Hitlerregime keinen Ausdruck des „Geheimen Deutschlands“ mehr, sondern nur noch „Pöbelherrschaft“.
Vor seiner Tat soll Claus Graf Schenk von Stauffenberg mehrfach das George-Gedicht „Der Widerchrist“ zitiert haben, in dem von der Blindheit des Volkes im Angesicht des „Fürst(en) des Geziefers“ die Rede ist:
[…] ihr merkt nicht den trug
Mit euren geschlagenen sinnen.
[…]
Ihr jauchzet · entzückt von dem teuflischen schein ·
Verprasset was blieb von dem früheren sein
Und fühlt erst die not vor dem ende.
In einem weiteren George-Gedicht, dem dritten „Jahrhundertspruch“, heißt es:
Der mann! die tat! so lechzen volk und hoher rat ·
Hofft nicht auf einen der an euren tischen ass!
Vielleicht wer jahrlang unter euren mördern sass ·
In euren zellen schlief: steht auf und tut die tat.
Doch weder „volk“ noch „hoher rat“ „lechzten“ nach der „tat“. Möglicherweise zeigt sich hier, dass der Faschismus, zu dessen Wesen der Elitenhass gehört, aus einem elitären Geist heraus nicht zu besiegen ist.
Die Wahrnehmungsstörung der neurechten Ideologie
Dass die Neue Rechte sich als Elite versteht, gehört zu ihren inhärenten Widersprüchen. Kubitschek zählt sich und die Seinen zu den Auserwählten, die das Wissen um das „Geheime Deutschland“ durch die Irrungen der Gegenwart retten müssen. Stauffenberg ist für ihn darüber hinaus offenbar die Blaupause für sein eigenes Engagement gegen den Staat.
Die Gleichsetzung von Diktatur und Demokratie ist eine Wahrnehmungsstörung, ohne welche die neurechte Ideologie nicht zu verstehen ist. Götz Kubitschek nennt die demokratische Bundesrepublik „Merkel-Diktatur“, und aus seiner Sicht ist daher „Widerstand“ gegen den Staat heute ebenso berechtigt wie damals.
Wahnsysteme folgen einer verqueren Wahrnehmung, agieren jedoch innerhalb dieser gestörten Wahrnehmung folgerichtig. In dieser Logik ist das Andocken der Neuen Rechten an den militärischen Widerstand gegen das Hitlerregime nur konsequent: Der AfD-Politiker Uwe Junge hat jüngst von den Bundeswehrgenerälen „Widerstand“ gegen Annegret Kramp-Karrenbauer gefordert – und sich dabei implizit auf den 20.Juli bezogen. Auf seiner AfD-Website schreibt er: „Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass die große Mehrzahl der Widerstandskämpfer konservativ-patriotische Positionen vertrat. Für mich als Offizier war und ist Oberst Graf Schenk von Stauffenberg ein Vorbild in Haltung und Pflichterfüllung, der dem Prinzip von Befehl und Gehorsam durch das eigene Gewissen Grenzen gesetzt hat!“
Gegen diese Wahrnehmungsstörung hilft es aber nicht, Stauffenberg nun zum philosemitischen Demokraten umzuframen. Die Stärke und das historische Selbstverständnis der Demokratie sollte vielmehr darin bestehen, Stauffenbergs Tat als vorbildlich zu sehen, ohne mit allen seinen Motiven übereinstimmen zu müssen. Eine kritische Biografie wie die von Thomas Karlauf kommt daher gerade zur rechten Zeit.
Bildnachweis:
Beitragsbild: Stauffenberg, Hitler und Keitel im Führerhauptquartier.
Bundesarchiv, Bild 146-1984-079-02 [CC BY-SA 3.0 de], via Wikimedia Commons (bearbeitet)
Buchcover: Verlag
Thomas Karlauf
Stauffenberg
Porträt eines Attentäters
Blessing 2019 · 268 Seiten · 24 Euro
ISBN: 978-3896674111