Im Martin-Gropius-Bau laden in der Ausstellung „Music of the Mind“ 200 Arbeiten von Yoko Ono zu einem chronologischen Rundgang ein durch ihr mittlerweile siebzig Jahre umspannendes Werk. (Bis 31. August 2025)
Die Neue Nationalgalerie konzentriert sich unter dem Titel „Dream Together“ auf Installationen, die Yoko Ono als Angebot zum Mitmachen an ihr Publikum adressiert. (Bis 14. September 2025)
Quasi als Sidekick hat der Neue Berliner Kunstverein überdies bis August eine von Onos Werbetafeln (TOUCH, 1962/2025) an der Kreuzung Friedrichstraße/Torstraße platziert.
“THIS IS NOT HERE”
Konzeptkunst ist eine genuin moderne Erfindung. Vor den 1960er Jahren galt das Ergebnis künstlerischer Arbeit als Kunstwerk. Jetzt aber, zu Beginn der Roaring Sixties – und auffallend häufig in musikalisch geprägten Kreisen –, experimentieren Künstlerinnen und Künstler an der Umkehr der Verhältnisse: Statt des Ergebnisses wird der Prozess wichtig, oder noch radikaler, allein die Idee. Es geht um die Emanzipation künstlerischer Praktiken. Kunst und Leben sollen sich mehr miteinander verquicken.
Doch mit dem Einzug in Museen zeigte sich die schwierige Prämisse konzeptuelle Kunst, denn: Wie stelle ich eine Idee aus?
Gleich der erste Raum des im Martin-Gropius-Bau angelegten Rundgangs pointiert den Zusammenprall von Publikumserwartung und Ideenkunst: Der Raum ist – zumindest auf dem ersten Blick – leer. Nur wer genau hinschaut, findet winzige Notate der Künstlerin an den Wänden und auf den Fenstern. Alle auf derselben Höhe, denn eine Linie ist durch den ganzen Raum gezogen, dort steht unter anderem:
This line is a part of a very large circle
This window is 200 ft wide
This is not here
Ein Zaubertrick: Yoko Ono zieht einen Kreis und verwandelt damit den Raum in einen imaginären Kunstraum. Wer jetzt überlegt, wie dieses Kunstwerk transportiert oder wie oder was versichert wird, stellt genau die Fragen, die auf unsere moderne Vorstellung von Kunst zielen: dass nämlich Kunst mehr ist als ein Objekt, eine Ware.
„BOIL WATER“
Aber ist es wirklich Kunst, in einem Raum eine Linie zu ziehen oder jemanden aufzufordern, Wasser zu kochen? Wer Yoko Ono folgt, stößt auf eine weitere immaterielle Seite von Kunst: die Zeit. Denn Performances füllen – wie auch Musik – eine bestimmte Zeitspanne. Eines von Yoko Onos frühen Hauptwerken ist das 1964 erschienene Buch Grapefruit, das ausschließlich aus Handlungsanweisungen besteht. Hier zeigt sich Onos Radikalität, weil die Anweisungen auch für Laien gedacht sind. Sie mischt konsequent Leben und Kunst – eine der Hauptforderungen moderner Avantgardist:innen: Kunst wird gewöhnlich, und der Alltag wird zur Kunst. Allerdings (meist) nur im Kopf. Und auch nur in Köpfen, die gewillt sind, den Anweisungen zu folgen.
Yoko Ono, die im Februar 1933 in Tokio geboren wurde, startete zunächst mit einer musikalischen Ausbildung. In New York, wohin sie mit ihrem ersten Mann zog, dem Komponisten Toshi Ichiyanagi, lernt sie John Cage, Merce Cunningham, Morton Feldman, Stefan Wolpe kennen. Mit dem Musiker La Monte Young organisierte sie 1961 erste Performances, die heute als Keimzellen der Fluxus-Bewegung gelten. Die Regie-Anweisungen einiger dieser Auftritte hat sie in das Buch Grapefruit aufgenommen, zum Beispiel das Chair Piece, von dem wir im Gropius Bau, nebst den Anweisungen, drei Stühle sehen. John Lennon lernt Ono erst später in London kennen, da ist sie bereits eine bedeutende Fluxus-Künstlerin. Zusammen mit Lennon, vor allem aber nach dessen Ermordung, tritt sie zunehmend auch als Friedens- und Menschenrechtsaktivistin auf.
„PEACE IS POWER“
Als Yoko Ono kurz nach John Lennons Tod die gemeinsam mit Lennon geschriebene Liedzeile „War is over, if you want it“ (1971) auf riesigen Werbeflächen in London plakatiert, wird die Grundspannung ihrer gesamten Kunst sichtbar: Für manche offenbart die Aktion Gesinnungskitsch, andere fühlen sich angesprochen und werden sich einer individuellen Verantwortung bewusst. Genau hier hin zielen alle von Yoko Onos Arbeiten: auf den schmalen Grat zwischen Misstrauen und Aufmerksamkeit. Natürlich kann ich mich weigern, ein von Ono präpariertes Schachspiel zu spielen, in dem alle Figuren weiß sind. Ich kann mich aber auch hinsetzen und es versuchen. Dann geschieht etwas, was vermutlich kaum jemand voraussieht: Mit einfarbigen Figuren spielen die Kontrahenten irgendwann nicht mehr gegen- sondern miteinander.
“THE JOB OF AN ARTIST IS NOT TO DESTROY BUT TO CHANGE THE VALUE OF THINGS”
Yoko Onos Arbeiten sind subversiv. Sie unterhöhlen mit scheinbarer Naivität die Welt. Dabei zielt die Künstlerin auf einen Moment der Katharsis, im weitesten Sinn auf Heilung. Das mag verstören, weil sie stets jede und jeden im Publikum direkt anspricht. „Mach das!“, sagen ihre Arbeiten:
Schlag einen Nagel in die Holzplatte!
Zieh deinen Schatten auf einer beleuchteten Leinwand nach!
Zerschlage eine Tasse und setze sie als Skulptur wieder zusammen!
Oder:
Stell Dir mal vor: Frieden ist Macht.
„Ich fühle mich verarscht“ schreibt ein junges Mädchen im letzten Raum auf eine der ausgelegten Blanko-Karten, auf denen die Besucher:innen eingeladen sind, Erinnerungen an ihre Mütter zu teilen oder ein paar Worte an sie zu richten. Boden und Wände sind übersät mit vollgeschriebenen Karten. Manche malen etwas, manche gestalten Muster mit den farbigen Klebestreifen, viele schreiben etwas Herzliches, mal voller Liebe, mal auch mit Kummer und Bedauern.
Der fast schon zugeklebte Raum, ästhetisch eher eine Zumutung, weitet sich, die Anonymität weicht einem Gefühl von Gemeinsamkeit, denn eine Mutter haben wir alle. Kitsch? Mag sein. Aber genau hier liegt die Entscheidung: Will ich mich auf dieses Spiel einlassen? Möchte ich mitmachen und dabei über mich nachdenken? Oder fühle ich an der Nase herumgeführt, weil meine Erwartung, etwas geboten zu bekommen, von Yoko Ono mit geradezu hippiesker Nonchalance unterlaufen wird?