Manchmal fehlt es auch im Sommer an der Muße zum Lesen. Zum Glück gibt es Bücher, die zu Kurzbesuchen einladen und dabei glänzend unterhalten. Eins ziehe ich in Stresszeiten immer wieder gern aus dem Bücherregal. Es trägt den langen Titel Bücher, Literaten und Leser am Vorabend der Revolution: Auszüge aus dem „Tableau de Paris“ und ist 2012 im Wallstein Verlag erschienen.
Tableau de Paris wurde ursprünglich 1781 erstmals publiziert. Der Autor Louis-Sébastien Mercier (1740-1814) hat in kurzen Skizzen und Beobachtungen das damalige Leben in der französischen Hauptstadt festgehalten. Der von Wulf D. von Lucius zusammengestellte und übersetzte Auswahlband enthält vor allem Texte, die sich um Bücher und andere Schriften drehen – und um diejenigen, die sie schreiben, herstellen, verkaufen und lesen.
Auf gut 230 Seiten entfaltet sich ein Panoptikum der Pariser Medienszene der 1770er und 1780er Jahre, in das man immer wieder eintauchen kann. Die Überschriften der kurzen Texte lauten beispielsweise:
- „Über Konversation“
- „Die Cafés“
- „Von Halbautoren, Viertelautoren sowie Bastarden, Cliquen etcetera“
- „Verleger“
- „Lesungen“
- „Frivole Drucke“
- „Geheimtheater“
- „Schmähschriften“
Mercier schreibt knapp, lebendig und prägnant. Die kurzen Schilderungen eröffnen Blicke auf das damalige Leben in Paris. Irgendwann beginnen die unterschiedlichen Perspektiven, sich zu einem facettenreichen Porträt einer Großstadt zusammenzusetzen. Die Texte sind meist drei bis sechs Seiten lang; sie lassen sich zwischendurch lesen, und einen Faden, den man verlieren könnte, gibt es erst gar nicht.
Man schaut schnell vorbei in einer anderen Realität, die in mancher Hinsicht unerwartet vertraut ist – etwa, wenn Mercier über “Literarische Streitigkeiten” und ihre Aufnahme durch das Publikum schreibt:
In der Unterhaltung tadelt man Autoren, um sich selbst den Anschein von Würde und Zurückhaltung zu geben, aber man stürzt sich auf das satirische Journal, das im Vorzimmer liegt und sucht die Stelle, wo man das Epigramm gedruckt vermutet. Wenn es nicht schneidend ist, wenn der Journalist seine übliche Galle vermissen lässt, er also an diesem Tag schwach war, sagt man mit den Schultern zuckend: „Es ist nichts Geistreiches in dieser Nummer.“ Und die unersättliche Boshaftigkeit des Lesers, [die] stets Harmonie predigt, aber nichts zu ihrer Befriedigung findet, wirft das Blatt verächtlich beiseite und sagt: „Wenn das so weitergeht, werde ich nicht länger abonnieren.“
Louis-Sébastien Mercier
Bücher, Literaten und Leser am Vorabend der Revolution: Auszüge aus dem „Tableau de Paris“
Ausgewählt und übersetzt von Wulf D. von Lucius
Wallstein 2012 · 238 Seiten · 22,90 Euro
ISBN: 978-3835309180