Angst und Wut sind Emotionen mit hoher Aufladung. Sie lassen sich leicht schüren, und sie nähren sich aus sich selbst, deshalb sind sie so gefährlich für die Demokratie. Wir leben in einer Zeit der Gegenaufklärung: Viele Menschen scheinen sich in eine selbst verschuldete Unmündigkeit zurückzuziehen. Wenn Angst und Wut regieren, bleibt die Vernunft auf der Strecke.

Es riecht nach Protest

Die neue Rechte setzt auf das Sündenbock-Denken – als wären alle Probleme gelöst, wenn es beispielsweise keine Flüchtlinge mehr gäbe. Mit der No-Billag-Initiative hat die schweizerische Rechte einen neuen Sündenbock gefunden: die öffentlich-rechtliche Fernseh- und Radioanstalt SRG. Wird die Initiative im März 2018 angenommen, müssen die Schweizer keine Radio- und Fernsehgebühren mehr bezahlen. Dies hätte nicht nur die Zerschlagung der SRG zur Folge. Laut Initiativtext soll überdies in der Verfassung verankert werden, dass der Bund auch in Zukunft keine Radio- und Fernsehstationen mehr subventionieren darf.

Die Debatte wird in der Schweiz hoch emotional geführt. Es riecht nach Protest, doch wogegen der Protest sich richtet, ist schon fast egal. Die Unschärfe der Gefühle erlaubt es der No-Billag-Initiative, mit Nebelpetarden zu operieren. Unter dem Deckmäntelchen von Propagandabegriffen wie „Zwangsabgabe“ und „Staatsmedien“ bringen die Rechtspopulisten ihr eigentliches Schiff in den Hafen: Die SRG soll eliminiert werden, weil sie die einzige Bastion ist, die den Rechten noch gefährlich werden kann.

Das Medien-Imperium der SVP

Im kleinen Schweizer Markt sind die Zeitungen ökonomisch noch stärker unter Druck als in Deutschland, dies macht sie verwundbar. Ursprünglich forderte SVP-Chef Christoph Blocher eine eigene rechtsbürgerliche Tageszeitung, vor kurzem drohte er mit der Gründung einer eigenen Sonntagszeitung. Derweil kauft Blocher, was er bekommen kann: Die Weltwoche, die Basler Zeitung (BaZ) und 25 Gratiszeitungen in der Ostschweiz gehören bereits zu seinem Medienimperium, das entspricht einer Reichweite von 800’000 Lesern. Im vergangenen Jahr soll Blocher in einem offenbar gescheiterten Deal mit der Tamedia versucht haben, die BaZ, die unter dem Chefredakteur und Blocher-Biografen Markus Somm vierzig Prozent ihrer Auflage eingebüßt hat, gegen die Zürcher Landzeitungen einzutauschen. Die „Zeit“ vermutet in einem aktuellen Artikel, die NZZ stehe auf seiner Einkaufsliste ganz oben:

Die ‚alte Tante‘ zu übernehmen, das würde Blochers Kampf gegen das freisinnige Establishment krönen, dem er sein politisches Leben gewidmet hat.

Die SRG kann man nicht kaufen, also soll sie weichen. Warum dieser Aspekt in der Debatte bisher kaum Beachtung gefunden hat, ist ein Rätsel. Ein weiteres ist die Haltung der NZZ. Unter dem Titel „Die Schweiz braucht keine Staatsmedien“ übte sich der Chefredaktor Eric Gujer unlängst in Propaganda-Talk: So nimmt er etwa das Gründungsjahr der SRG zum Anlass für einen Verweis auf Hitler und Stalin und rückt die SRG damit in die Nähe von Propaganda-Sendern, wie man sie in Diktaturen kennt. Die SRG sei ein Dinosaurier, heißt es weiter, niemand käme auf die Idee, sie heute neu zu gründen. Zum einen dürfte das wohl auch auf die NZZ zutreffen, zum anderen sind gebührenfinanzierte Medien gerade durch ihre Unabhängigkeit vom Markt ein Zukunftsmodell.

Vielen Lesern ist nicht bewusst, dass die meisten Zeitungen nur zu einem geringen Teil von ihren Lesern finanziert werden. Müssten die Leser für die Kosten einer Zeitung mit einem weltweiten Korrespondentennetz und einer qualifizierten Redaktion vollumfänglich selbst aufkommen, wäre eine Tageszeitung am Kiosk so teuer, dass sie sich niemand mehr leisten könnte. Etwa achtzig Prozent der Einnahmen kamen traditionell von der Werbung. Seit jedoch ein Großteil der Werbeeinnahmen an Plattformen wie Google und Facebook fließt, funktioniert diese de-facto-Subventionierung nicht mehr. Die privaten Verlage fühlen sich gegenüber den durch Gebühren finanzierten Sendern im Nachteil: Neid ist ein weiteres Motiv, das die Debatte verzerrt.

Amerikas öffentlicher Rundfunk

Am Beispiel Amerikas kann man studieren, was geschieht, wenn der Journalismus dem Markt ausgeliefert ist. Die USA haben 40 mal mehr Einwohner als die Schweiz, wo sich überdies vier Sprachen den Medienmarkt teilen müssen. Doch selbst in den USA mit ihrem riesigen Markt findet Qualitätsjournalismus, was Radio und Fernsehen angeht, maßgeblich im öffentlichen Sektor statt: In puncto Glaubwürdigkeit ist das National Public Radio (NPR) ein Leuchtturm. Mit dem Public Broadcasting Act wurde 1967 die Möglichkeit für öffentlich finanzierte Radio- und Fernsehstationen geschaffen, also genau das, was die Initiative für die Schweiz abschaffen möchte.

Das lockere Netzwerk der Stationen des NPR wird durch Sponsoring und freiwillige Spenden finanziert, allerdings lässt sich der amerikanische Nonprofit-Sektor auf europäische Verhältnisse nicht übertragen. In den USA können Spendenbeiträge von den Steuern abgesetzt werden, der Staat verzichtet somit auf Einnahmen. Überdies hat sich im Nonprofit-Sektor während Jahrzehnten eine eigene Kultur des Fundraisings entwickelt, mit Benefit-Dinners, Gala-Anlässen und Mitgliederaktionen. Und Fundraising kostet Geld: Dreißig Prozent des Budgets werden in der Regel für das Einwerben der Gelder aufgewendet. Mit jährlichen Kosten von 45 Millionen Franken für das Einziehen von Gebühren in der Höhe von 1,3 Milliarden Franken ist die Billag zehnmal effizienter.

Gleichschaltung der Medien

Die Initiative ist Teil des neoliberalen Angriffs auf die Demokratie: Letztlich läuft No Billag auf die Gleichschaltung der Medien durch das Kapital hinaus. Denn wenn wir nur noch das zu lesen, hören und sehen bekommen, was der Markt finanziert, wird es keine kritischen Medien mehr geben. Mit ihren Nebelpetarden lenkt die Rechte davon ab, dass es um Grundsätzliches geht: Diese Initiative betrifft nicht nur die SRG, sie rührt an die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Die westliche Moderne hat Gesellschaften geschaffen, in denen es sich besser leben lässt, als es in der Menschheitsgeschichte zuvor je möglich war. Das westliche Staatsmodell funktioniert, weil wir alle für Dinge bezahlen, die nicht jeder von uns in Anspruch nimmt. Der rechtspopulistische Neoliberalismus arbeitet an der Aufhebung dieses contrat social.

Wenn alle nur noch für das bezahlen, was sie nutzen, werden alle ärmer (außer den Reichen). Wenn wir nur noch Medien haben, die von ihren Nutzern finanziert werden, werden alle dümmer (auch die Reichen).


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Von Sieglinde Geisel

Journalistin, Lektorin, Autorin. Gründerin von tell.

3 Kommentare

  1. Bedauerlich, dass ausgerechnet auf dieser Plattform und von Ihnen mit Halbwahrheiten und falschen Interpretationen von Zitaten gefuhrwerkt wird.

    Ihre Interpretation dieses Satzes im Leitartikel der NZZ ist falsch: „(Die SRG) ist das Kind einer Zeit, in der Hitler und Stalin die neue Radiotechnik nutzten, um ihre Propaganda zu verbreiten, und ein demokratischer Staat wie die Schweiz mit dem Konzept der geistigen Landesverteidigung antwortete.“ Das bedeutet, die Schweiz musste eine adäquate Gegenreaktion treffen, aber es heisst nicht, E. Gujer „rück(e) die SRG (…) in die Nähe von Propagandasendern, wie man sie in Diktaturen kennt.“

    Wenn jemand, der so klug ist wie Sie, Zitate absichtlich um 180 Grad dreht, wie integer ist da der Rest des Textes?

    Nur noch dies: die Gleichsetzung des Contrat Social mit Medienpolitik grenzt ans Lächerliche, da sie damit insinuieren, dass es eine mittige Argumentation gebe, die frei von Tendenzen und also unabhängig sei. Diese Argumentation pflegte bis Mitte der 60er Jahre bei uns die Kirche und bis heute ihr Pendant im mittleren Osten.

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    1. Meine Interpretation des Satzes bezieht sich auf den Kontext, in den Gujer die SRG stellt. Auch wenn sie damals der geistigen Landesverteidigung gegen die Diktaturen diente, ist sie vom Konzept her diesen Staatssendern verwandt. Gujer verwendet das Gründungsjahr der SRG als Steigbügel, um diese Nähe herzustellen. Wäre die SRG 1922 gegründet worden (wie die BBC) oder 1950 (wie die ARD) hätte die Argumentationsschlaufe, um die es ihm geht, nicht funktioniert. Deshalb ist Gujers Argumentation letztlich unredlich, wenn sie auch dem Buchstaben nach korrekt sein mag. Es geht bei dieser Argumentation, wie schon beim Begriff “Staatsmedien”, um die Wirkung.
      Ich setze den Contrat Social nicht mit Medienpolitik gleich: Es geht um etwas, das (idealerweise) zum Wohle aller dient und daher in einem modernen Staat auch von allen mitgetragen wird. Oder habe ich Rousseau falsch verstanden?

  2. Lukas Tonetto 4. Januar 2018 um 13:54

    Ich kann Ihnen nur soviel sagen: die SRG ist nicht zu meinem Wohl, und das weiss ich, seit ich von deren Anwalt bedroht wurde wegen satirischer Texte in einem Blog. Als ich, einige Jahre darauf, den nach dem Attentat auf Charlie Hebdo laut über die Pressefreiheit aufheulenden Chef der mich verfolgenden SRG Business Unit darauf aufmerksam gemacht hatte, es wäre doch zu schön gewesen, er hätte auch meine Pressefreiheit ebenso hoch gehalten, wollte er sich partout nicht erinnern. Nein, die SRG ist nicht zu meinem Wohl, und sollte ausgerechnet deren vorgeblich neutrale, biedere Berichterstattung die Demokratie in der Schweiz retten, die ja durch die Abschaffung der SRG gefährdet sein soll, dann ist diese Demokratie keinen Pfifferling wert.

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