Flashbacks I:
Kriegstagebücher und In Stahlgewittern
Warum Ernst Jünger trotz seiner Fronterfahrung zu den wichtigsten Fürsprechern des Krieges gehört, ist ein Rätsel. Bis heute polarisiert sein Werk – und wird häufig zu einseitig gelesen, als wäre es ausschließlich kriegstreiberisch. Jünger verschweigt weder die Grausamkeit des Kriegs noch die seelischen Leiden der Opfer. Auch sein bekanntestes Werk, der Debütroman In Stahlgewittern, schwankt zwischen ungehemmter Kriegsbegeisterung und Fassungslosigkeit über die erlebte Gewalt. Ein Überblick über den Roman:
Gestörtes Weltverständnis:
Totengräber der Weimarer Republik
Was war das nur? Der Krieg hatte seine Krallen gezeigt und die gemütliche Maske abgeworfen. Das war so rätselhaft, so unpersönlich. […] Das völlig außerhalb der Erfahrung liegende Ereignis machte einen so starken Eindruck, dass es Mühe kostete, die Zusammenhänge zu begreifen. Es war wie eine gespenstische Erscheinung am hellen Mittag.
(Aus: In Stahlgewittern)

Ernst Jünger mit dem Orden Pour le Mérite um den Hals und dem Eisernen Kreuz an der Brust
Wie die meisten Kriegsheimkehrer steht auch Ernst Jünger im Jahr 1918 vor einem gravierenden Problem: der Umgewöhnung an den Frieden. Vier lange Jahre hat er in Granattrichtern und Schlammlöchern gehaust. Doch der Krieg ist verloren, und die Heimat funktioniert nach ganz anderen Regeln. Obwohl Jünger von der Familie aufgefangen wird, seine spätere Frau Gretha kennenlernt und als hochdekorierter Veteran ein kleines Einkommen erhält, fällt er in eine Depression. Hat er seine Jugend umsonst geopfert? Schreibend versucht er, die Kriegserfahrung zu deuten.
Resultat der Sinnsuche ist eine Reihe von Essays und politischen Schriften. Heute illustrieren Texte wie Der Kampf als inneres Erlebnis oder Die totale Mobilmachung, wie verkrampft Jünger versucht, dem Krieg positive Seiten abzugewinnen, um die Sinnlosigkeit des eigenen Opfers nicht erkennen zu müssen. Sein Werk ist nationalistisch, totalitär und geprägt von einer tiefen Abscheu vor der Weimarer Republik. An den Publizisten Ludwig Alwens schreibt er: „Alles, was nicht auf einen neuen Krieg hinzielt, interessiert uns nicht.“ Jünger wünscht sich in den Schützengraben zurück.
Mit dieser Haltung ist Ernst Jünger kein Einzelfall. Viele Kriegsheimkehrer sind so abgestumpft, dass nur noch die Todesnähe für sie Sinn stiften kann – sie haben den Glauben an die Menschlichkeit verloren. Nach dem Ersten Weltkrieg wartet ein Millionenheer dieser jungen Männer darauf, von rechten und linken Populisten eingefangen zu werden. Schnell wird auch der Kriegsschriftsteller Jünger umgarnt. Zu seinem erweiterten Freundeskreis gehören unter anderem diese Herren:
Rückzüge:
Gartenarbeit im Dritten Reich
Ahnst du, was vorgeht in jenem Raum, den wir vielleicht eines Tages durchstürzen werden und der sich zwischen der Erkenntnis des Unterganges und dem Untergang erstreckt?
(Aus: Das Abenteuerliche Herz)
Im Jahr 1930 erreicht Ernst Jünger den politischen und ethischen Tiefpunkt seines Schaffens. Hatte er bisher Abstand zur Rassentheorie der Nazis gehalten, heißt es in dem Aufsatz Über Nationalismus und Judenfrage mit schrecklicher Voraussicht: „In gleichem Maße jedoch, in dem der deutsche Wille an Schärfe und Gestalt gewinnt, wird für den Juden auch der leiseste Wahn, in Deutschland Deutscher zu sein, unvollziehbar werden […].“

Der streitbare Essay „Der Kampf als inneres Erlebnis“ von Ernst Jünger
Jüngers Verhältnis zum Nationalsozialismus ist gespalten – dem Heißsporn ist die NSDAP nicht radikal genug. Mit weniger als einer Revolution gibt er sich nicht zufrieden. Privat mokiert sich Jünger über den „Spießbürger Hitler“, verweigert Joseph Goebbels die Freundschaft und kappt nach der Machtergreifung die Verbindung zum NS-Regime. Als seine Berliner Wohnung schließlich von der SA durchsucht wird, zieht Jünger sich nach Goslar zurück, später nach Überlingen und Kirchhorst. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges widmet er sich dort dem Käfersammeln und der Gartenarbeit.
Die Nationalsozialisten stehen Jünger ebenfalls zwiespältig gegenüber. Der Weltkriegsveteran ist zwar ein wichtiger rechter Denker. Sein elitäres Auftreten und die Freundschaft zu linken Anarchisten wie Erich Mühsam jedoch schrecken die NSDAP-Kader ab. Skepsis erregt auch Jüngers Werk: Über die ebenso radikal links wie radikal rechts deutbare Staatsutopie Der Arbeiter urteilt der Völkische Beobachter, Jünger wage sich „in die Zone der Kopfschüsse“ vor. In dem surrealistischen Erzählband Das abenteuerliche Herz oder in der Novelle Sturm lässt Jünger sogar leise Zweifel am Krieg anklingen.
Das Erstaunliche war, dass er, Sturm, eben versucht hatte, einen anderen zu töten, kalt, klar und äußerst bewusst. Und wieder drängte sich ihm die Frage auf: War er noch derselbe wie vor einem Jahr?
(Aus: Sturm)
Hier ist sicherlich Ort und Gelegenheit, ergänzend an den Neurologen Hermann Oppenheim zu erinnern. Er hat als erster die Kriegsneurose oder „traumatische Neurose“ (heute porttraumatische Belastungstörung) deskriptiv als das erfasst, was sie auch war und ist: Eine absolut adäquate Reaktion auf eine absolut irrsinnige Situation. Wenn auch seine damalige, pathophysiologische Erklärung noch unzureichend gewesen gewesen sein mag.
Dass ihm akademische Anerkennung versagt blieb, hatte v.a. mit seinem Unwillen zu konvertieren zu tun; und dann war es später wohl auch die Folge seiner Forschungen zu den Kriegszitterern. Nicht die „schwachen, undeutschen Nerven“ des „unheldischen Versagers“ waren schuld sondern die unheldische Situation Krieg? Das konnte ja nur von einem Juden kommen, so der damalige, deutschnationale Konsens. Die von ihm initiierte Gesellschaft Deutscher Nervenärzte wurde folgerichtig 1935 aufgelöst. Seine Erkenntnisse waren nicht gefragt. Und genau hier verflechtet sich sein Schiksal mit dem Ernst Jüngers. Denn hätte sich sein Konzept durchgesetzt, so mancher Jünger des Heldentums (der Kalauer sei mir erlaubt) wäre vielleicht bekehrt worden und hätte nicht wie Ernst Jünger seine posttraumatische Störung mit Hilfe von Drogen kuppieren müssen. Auch viele IS-Kämpfer, die aus Kriegsgebieten stammen, nehmen Drogen und sind was das Töten angeht abgestumpft. Das dürfte kein Zufall sein.
Abschließend fällt mir noch Heiner Müller ein, der über Jünger sinngemäß sagte, dass er vor den Frauen den Krieg erfuhr.
Ich fand in Ernst Jüngers Prosa zu viele Spuren für Bearbeitung, Umstellung, Herausstreichen, Verschweigen und Triumph, als dass ich seine Prosa für Zeugnisse von Erlebnissen lesen könnte, aus denen man etwas lernen könnte über Spuren von Krieg und Leid im Krieg. Als Offizier war Jünger privilegiert. Jünger war gern Soldat und suchte das Soldatenleben so sehr, dass er sogar zur Légion étrangère im Süden Frankreichs ging.