Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im Vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.

Dieses Einstein-Zitat ist das Motto von Don DeLillos neuem Roman Die Stille. Der Visionär unter den zeitgenössischen Schriftstellern betrachtet darin eine Frage, die den Atem verschlägt: Wie wird der Dritte Weltkrieg beginnen, falls es denn so weit kommt?

Autistische Dialoge

DeLillo schildert den Kriegsausbruch nicht aus welthistorischer Sicht, als globales Politszenario, sondern er tut, was er immer schon hervorragend konnte: Er zeigt am Beispiel einiger Alltagsfiguren, welche Auswirkungen historisch umstürzende Ereignisse auf einzelne Menschen und die Gesellschaft entwickeln. Ohne den Plot nacherzählen zu wollen, sei so viel gesagt: Die Figuren reagieren auf die rätselhaften Ereignisse mit mehr oder weniger eigentümlichem, eigenwilligem Reden.

Wer DeLillos Sound kennt, kennt auch seine skurrilen Dialoge, die nur in Krisensituationen psychologisch plausibel sind. Der österreichische Literaturkritiker Wolfgang Popp spricht bei diesem Buch im ORF von „autistischen Dialogen“. Und hier entfaltet sich auch gern DeLillos furztrockener, schräger, etwas grimmiger Humor, der die Übersetzung (wie Humor so oft) vor besondere Herausforderungen stellt.

Rätsel ohne Kontext

Martin, ein Physik-Dozent Mitte dreißig, Einstein-Experte mit hoher Affinität zu mysteriös-abstrakten Theoriegebäuden, erzählt eine Szene aus einem Seminar – ein DeLillo-typischer Einfall:

„And one of the students recited a dream he’d had. It was a dream of words, not images. Two words. He woke up with those words and just stared into space. Umbrella’d ambuscade. Umbrella with an apostrophe d. And ambuscade. He had to look up the latter word. How could he dream of a word he’d never encountered? Ambuscade. Ambush. But it was umbrella with an apostrophe d that seemed a true mystery. And the two words joined. Umbrella’d ambuscade.”

He waited for a time.

“All this in the Bronx,” he said finally, making Diane smile. “There I stood listening to the young men and women discuss the matter, the students, my students, and I wondered, myself, what to make of the term. Ten men with umbrellas? Preparing an attack? And the student whose dream it was, he was looking at me as if I were responsible for what happened in his sleep. All my fault. Apostrophe d.”

Die Wortschöpfung bleibt ohne Kontext, sie ist ein Rätsel, soll eines sein und bleiben. Aber natürlich bewirkt sie im Text trotzdem etwas. Sie wird reflektiert. Sie sagt etwas aus. Aber was genau?

Sprachliches Kuriosum

„Umbrella’d“ bedeutet „beschirmt“; abgesehen vom Mützenschirm („visor“ → „visored“) hat das Englische dafür kein naheliegendes Adjektiv, man nutzt also das Substantiv „umbrella“ wie ein Verb und setzt es in die Partizip-Form, genau das, was im Deutschen bei „beschirmt“ auch passiert, dort aber regelhaft. Das durch die Endung „-ed“ angezeigte Partizip weist hier die Besonderheit auf, dass wegen des Endbuchstabens „a“ von „umbrella“ das „e“ wegfällt, also das Wort nicht „umbrellaed“, sondern „umbrella’d“ geschrieben werden muss. Dies kommentiert der Student als sprachliches Kuriosum.

Und „ambuscade“? Auch ich musste nachschauen. Es ist ein seltenes Wort; von der Bedeutung her ist es eine Variante des gebräuchlicheren „ambush“ (Hinterhalt), die Endsilbe „-ade“ macht daraus etwas Größeres, Organisierteres. Vielleicht zehn Angreifer statt nur einem, denkt Martin.

Panikschweiß

Als Übersetzer habe ich mit jedem der beiden Wörter ein Problem. „Beschirmt“ ist im Deutschen ein normales Wort, es liefert keinen Anlass, über seine sprachliche Gestalt nachzudenken, und es gibt keinen Apostroph, also auch keinen Stolperstein der Wahrnehmung. Einen „Hinterhalt“ gibt es natürlich auch auf Deutsch, nur existiert keine Variante davon, die durch ein anderes Wortbildungsmuster auf der Bedeutungsebene Verwandtschaft und Variante anzeigt. Auch das Wortfeld Angriff, Attacke, Invasion, Überfall, Heckenschützen usw. bietet kein Spielmaterial. Ehrlich gesagt, bricht mir hier erst einmal Panikschweiß aus.

Da hilft nur Analyse: Was genau bewirkt dieser schriftstellerische Einfall des Autors an dieser Stelle, und was brauche ich auf Deutsch, damit diese Wirkung erhalten bleibt?

Ich brauche ein Adjektiv, das auf Grund einer Notierungsbesonderheit auffällig genug ist, damit in der Erzählung metasprachlich darüber nachgedacht werden kann. Kurz: Ich brauche einen Apostroph. Und natürlich muss in irgendeiner Weise die Bedeutung erhalten bleiben. Mir fällt ein, dass es im Deutschen die Besonderheit der Eigennamen-Adjektive gibt, die mit Apostroph geschrieben werden können: so etwas wie „das Goethe’sche Frühwerk“. Aber das geht eben nur mit Eigennamen. Wie komme ich vom Eigennamen zum Schirm? Nach längerem Absuchen des Wortfeldes fällt mir ein, dass es ja den „Faraday’schen Käfig“ gibt: So nennt man das physikalische Phänomen, dass eine allseitig geschlossene Hülle aus einem elektrischen Leiter als Abschirmung wirkt, z. B. ein Auto gegen Blitzeinschlag.

Triumphgeheul

Ich habe also sowohl den „Schirm“ als auch die kuriose Schreibweise – Triumphgeheul am Schreibtisch! Und dieses Adjektiv ist, so fachsprachlich es auch sein mag, doch etabliert genug, dass ich an die Stelle des „Käfigs“ etwas setzen kann, das die „ambuscade“ überträgt.

„Hinterhalt“. Hier sträuben sich selbst jene deutschen Wortfelder, die nur locker mit der englischen Bedeutung verbunden sind. Soll ich ein Wort erfinden, „Attackade“ zum Beispiel? Das wäre gemogelt. Der Reiz von „ambuscade“ ist ja, dass der Student das Wort nachschauen muss – und es auch findet.

Irgendwann beschließe ich, die Methode umzukehren. Alle Ableitungen von bestehenden Wörtern (so etwas wie „-ierung“) bringen eine zu große Veränderung der Bedeutung mit sich; „-ade“ ist schon abgefeimt gut. Nur eine leichte Vertiefung der Hauptbedeutung, keine echte Verschiebung. Welche deutschen Wörter enden auf „-ade“? Her mit dem Reimlexikon!

Das eine Wort

Es ist frappierend. In der Tat gibt es nur ein einziges Wort, das sich einigermaßen eignet, weil es eine nahe Ableitung darstellt, die Bedeutung nicht allzu sehr verschiebt und im allerweitesten Sinne zu dem „Hinterhalt“ passt: „Galoppade“. Auch dieses Wort musste ich erst einmal nachschlagen, genau wie DeLillos Figur die „ambuscade“: „Art und Weise des Galopps bei Pferden; das Pferd hat eine gute Galoppade.“ Natürlich ist „Galoppade“ keine Übersetzung von „ambuscade“ – die Hinterhalt-Bedeutung ist weg. Zwar lassen sich herangaloppierende Pferde in ihrer Dynamik mit einem Angriff assoziativ zusammendenken, aber das war’s auch schon.

Und natürlich ergibt die deutsche Wortkombination nur einen rätselhaften Sinn. Welche Art zu galoppieren könnte eine elektrische Abschirmung darstellen? Aber nun bin ich ungefähr dort, wo DeLillos Martin mit seiner Frage nach dem beschirmten Gruppenhinterhalt ist: beim Rätsel. Es geht ja dann doch nicht um einen konkreten Hinterhalt, die heranrauschenden Pferde müssen als inhaltliches Bindeglied genügen.

Ein Traum aus Wörtern

Die assoziativ suchenden Überlegungen des zweiten Absatzes müssen auch noch angepasst werden, aber der absurde Witz der Stelle ist mir hier zum Glück behilflich.

„Und einer von den Studierenden trug einen Traum vor, den er gehabt hatte. Einen Traum aus  Wörtern, nicht Bildern. Zwei Wörter. Er wachte mit diesen Wörtern auf und starrte nur ins Leere. Faraday’sche Galoppade. Faradaysch mit Apostroph. Und Galoppade. Das musste er nachschlagen. Wie konnte er ein Wort träumen, das ihm noch nie begegnet war? Galoppade. Galopp. Aber Faraday’sch ohne den Käfig, das war ein echtes Rätsel. Und die beiden Wörter zusammen. Faraday’sche Galoppade.”

Er wartete einen Moment.

„All das in der Bronx“, sagte er schließlich, Diane musste lächeln. „Da stand ich und hörte den jungen Männern und Frauen zu, wie sie darüber diskutierten, die Studierenden, meine Studierenden, und ich fragte mich selbst, was ich mit diesem Ausdruck anfangen sollte. Hundert Meter gestreckter Galopp, Flucht oder Angriff? Und das Ganze elektromagnetisch abgeschirmt? Und der Student, der das geträumt hatte, schaute mich an, als wäre ich dafür verantwortlich, was in seinem Schlaf passiert war. Alles meine Schuld. Apostroph sch.“

Ist das nun eine übersetzerische Notlösung? Ich finde nicht. Es ist ein Extrembeispiel für das, was literarisches Übersetzen immer ist: Schreiben wie der Autor, aber mit den Mitteln der Zielsprache.

Bildnachweis:
Beitragsbild: Eadweard Muybridge, Animal Locomotion,
Plate 626, 1887, NGA 136536.jpg
National Gallery of Art, CC0, via Wikimedia Commons
Buchcover: Verlag

Don DeLillo
Die Stille
Roman · Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert
Kiepenheuer & Witsch 2020 · 112 Seiten · 20 Euro
ISBN: 978-3-462-00128-0

Bei Mojoreads oder im lokalen Buchhandel

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Von Frank Heibert

Übersetzer, unter anderem von Don DeLillo, Willam Faulkner, George Saunders, Lorrie Moore, Boris Vian, Yasmina Reza und Richard Ford. 2006 erschienen sein erster Roman „Kombizangen“ und das Jazz-Album „The Best Thing on Four Feet“ (zusammen mit der Jazz-Combo Finkophon Unlimited).

2 Kommentare

  1. Öh, ich sach mal was zu Ihren interessanten Differenzierungen, Frank Heibert.

    Die “Regenmanteli’che Buschräuberei” Don DeLillos wird als “Faraday’sche” öhh – “Galloppade” ihres aggressiven Gehalts entkleidet. Fferde sind Flucht’tiere, ne (und ffii lips-peln). Hinterhältige Regennmantel Ferkeleien passen aber nicht auf den Fferdehof, weil sie eben regenmantelige Hinterhaltsgehalte in petto haben. Die sind: Schmutzig. Ordinär. Gemein. Nicht knuffich und mächennah wie die “Fferde”.

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  2. Elvira Hanemann 21. Dezember 2020 um 19:57

    ich finde das ist ein hochinteressantes Beispiel für die Schwierigkeiten, richtig gut zu übersetzen. Nicht dass ich nicht sowieso höchsten Respekt vor der Arbeit von Übersetzern hätte, aber bei manchen SchriftstellerInnen ist es eben noch ein bisschen schwieriger die Sprache angemessen und passend – und eben nicht zu wörtlich am Original klebend – zu bringen.
    Hier ist das wirklich sehr gut gelungen!

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