Unsere kommentierte Liste mit Neuerscheinungen erscheint zweimal im Monat. Anfang des Monats stellen wir jeweils zehn Sachbücher vor, Mitte des Monats zehn Belletristik-Titel. Die Auswahl folgt unserer Neugier. Haben wir das Wichtigste übersehen? Dann lassen Sie es uns bitte wissen!

Russland

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Michail Schischkin
Die Eroberung von Ismail

Roman
Aus dem Russischen von Andreas Tretner

Und in diesem Moment entfleucht seinem Ohr – oder dem Oberschenkel, wie es in den frühen Mythologien zu lesen steht (höchlich naiv, aber desto rührender, finden Sie nicht?, jedenfalls viel interessanter als die ungeflügelte Dreifaltigkeit) oder, kann sein, aus dem Nabel, in der Dunkelheit ist nichts zu erkennen – entfleucht ihm sein Visavis, Nächster zur Nacht, göttlicher Gegenspieler, lebensfroh und trotzköpfig, mit einem Wort: Weles.

Der Debütroman von Michail Schischkin erschien in Russland bereits 1999, nun liegt er, nach Venushaar (2010) und Briefsteller (2012), in deutscher Übersetzung vor. Der Roman beginnt mit der Erschaffung der Welt in der russischen Provinz und wächst sich aus zu einer tour de force durch Bücher, Welten und Zeiten, im Wechselt mit Episoden aus dem Leben einer Figur namens Michail Schischkin.

Deutsche Verlagsanstalt, 512 S., 26,99 Euro
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Oleg Jurjew
Unbekannte Briefe

Roman

In einer Vertiefung hinter dem Fensterbrett lag die Mappe mit dem Schiffchen, Otto W. nahm sie als Souvenir mit nach Rüsselsheim. Ein paar Jahre später, bei einem Umzug, fand er sie im Dachstuhlgerümpel wieder. Die kyrillischen Buchstaben waren seinem Gehirn längst entfallen, deshalb konnte er nur einige Namen wiedererkennen, die ihm wichtig erschienen: Tolstoi, Scholochow, Solschenizyn, Pasternak, Brodsky, Stalin … Er bekam Skrupel.
(Aus dem Vorwort des Herausgebers)

Oleg Jurjews erster auf Deutsch geschriebener Roman besteht aus drei angeblich gefundenen Briefen, die nicht geschrieben worden sein können. Literaten wenden sich an andere Literaten, sie tun es in anachronistischen Verwicklungen zwischen Fiktion und Wahrheit, am Tod vorbei, so dass das Vergangene zur Gegenwart wird.

Verbrecher Verlag, 250 S., 22 Euro
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Artjom Wesjoly
Blut und Feuer

Roman
Aus dem Russischen von Thomas Reschke. Mit einem Nachwort von Jekaterina Lebedewa.

Und vor aller Augen küsste der Divisionsgeneral den rechten Flügelmann der ersten Kompanie ab, unsern einfachen Soldaten Alexej Mitrochin.
Das Regiment
war baff.
Wir standen wie versteinert und konnten erst jetzt wirklich glauben, dass das alte Regime gestorben war und die junge Freiheit in aller Form geboren.

Der Romanheld Maxim Kushel, Soldat und später Rotarmist, gerät in die Wirren der Oktoberrevolution und des Bürgerkriegs, und er erzählt von der Wirklichkeit des gewöhnlichen Lebens während des revolutionären Umbruchs. Der Roman von Artjom Wesjoly (1899-1938) erschien in der Sowjetunion von 1932 bis 1936 als Fragment, die Übersetzung folgt der letzten Fassung, ergänzt durch Passagen, die der Zensur zum Opfer gefallen waren.

Aufbau Verlag, 640 S., 28 Euro
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Kindheiten

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Toni Morrison
Gott, hilf dem Kind

Roman
Aus dem Englischen von Thomas Piltz

Ich sage es ungern, aber vom ersten Augenblick an, schon in der Wöchnerinnenstation, war mir das Baby Lula Ann peinlich. Anfangs war seine Haut bleich, wie bei allen Neugeborenen, selbst den afrikanischen, aber sie wandelte sich schnell. Ich dachte, ich werde wahnsinnig, als sie direkt vor meinen Augen blauschwarz wurde.

Toni Morisson setzt den Roman-Zyklus über Rassismus fort, den sie mit Jazz begonnen hat. Ein schwarzes Baby in einer hellhäutigen afroamerikanischen Familie – mit dieser Konstellation rückt das Stigma der Hautfarbe ins Zentrum des Romans. Lula Ann, von der Mutter zu Gehorsam und Unterordnung erzogen, geht ihren eigenen Weg. Doch auch in ihrem Leben als erfolgreiche Geschäftsfrau bleibt das Erbe der Rassentrennung gegenwärtig.

Rowohlt, 208 S., 19,95 Euro
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Esther Spinner
Alles war

Roman

Das Kind macht sich ganz klein, damit Mama nicht auf die Idee kommt, es hinauszuschicken, hofft auf die Wie-wir-uns-befreiten-Geschichten, hofft, eine Papa-Geschichte aufzuschnappen, irgendetwas, das beweist, dass es ihn einmal gegeben hat, Robert, Papa, der nicht da ist. Warum? Darum.

Sophie lebt in Rom, nun fährt sie nach Zürich, um ihre Mutter ins Pflegeheim zu bringen und die elterliche Wohnung aufzulösen. Dabei taucht sie in ihre vaterlose Kindheit ein und versucht, ihre Mutter zu verstehen – und dem Familiengeheimnis auf die Spur zu kommen. Das vermeintlich so biedere Milieu im Zürcher Seefeld von damals wird dabei immer bizarrer – eine Utopie in der Vergangenheit.

edition 8, 190 S., 21,80 Euro
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Jochen Schmidt
Zuckersand

Roman

Karl benahm sich, als sei die Welt für ihn erschaffen worden. Wie hatte es ihn jemals nicht geben können? Und wie einfach es gewesen war! Der erhöhte tägliche Kalorienbedarf der Frau während der Schwangerschaft würde einem Käsebrot entsprechen, hatte mir Klara einmal verraten.

Karl ist zwei Jahre alt und erkundet die Welt – begleitet, beobachtet und umsorgt von seinem Vater, dem die Erwachsenenwahrnehmung allmählich abhandenkommt, während er sich seiner eigenen Kindheit annähert. Ein Roman voller Übertreibung und Komik, der fragt, was mit uns geschieht, wenn wir Eltern werden.

C.H. Beck, 250 S., 18 Euro
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Schriftsteller über das Schreiben

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Max Frisch
„Wie Sie mir auf den Leib rücken!“

Interviews und Gespräche
Herausgegeben von Thomas Strässle

Der Andere: Die Umschmelzung ehrt Ihre künstlerische Selbstkritik. Vielleicht wird in Ihrem Roman zu geistreich gesprochen.
Max Frisch: Kann man „zu“ geistreich sein?
Der Andere: Wer es „zu“ ist, hört auf, es zu sein.

Der Sammelband beginnt mit einem Kuriosum: einem fiktiven Gespräch von 1934, aus der Feder des damaligen NZZ-Feuilletonchefs Eduard Corrodi.
Max Frisch war ein Schriftsteller, der sich auch außerhalb seiner Werke zu Wort meldete. Seine politischen Äußerungen sind bis heute aktuell. Die Interview-Auswahl enthält Gespräche, die bisher unveröffentlicht waren.

Suhrkamp, 237 S., 22 Euro
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Peter Wawerzinek
Bin ein Schreiberling

So wollte ich auch schreiben. Wovon man bei mir denken könnte, es wäre ausgedacht, sollte stimmen, wovon man meinte, ich würde die volle Wahrheit sagen, sollte man sich sicher sein, dass ausgerechnet die gelogen wäre. Ich bin dann ein Stegreifdichter geworden.

Peter Wawerzinek erzählt anekdotisch vom Alltag eines Schriftstellers: Es geht um die Selbstfindung als Autor, um das Scheitern und den Erfolg, um die Orte des Schreibens und die Mechanismen des Betriebs.

Transit Buchverlag, 144 S., 18 Euro
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Literaturgeschichtliches

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Andreas Isenschmid
Marcel Proust

Leben in Bildern

Wie wird aus Leben Literatur? Anhand von biografischen Tiefenbohrungen gibt der Kritiker Andreas Isenschmid in seinem Essay Einblicke in die Alchemie des Schreibens: Sechs Kapitel verschaffen uns einen Eindruck vom geistigen Klima, in das Proust hineinwuchs, vom erstaunlich freizügigen Umgang mit der gleichwohl tabuisierten Homosexualität, bis schließlich zu den letzten Lebensstunden, in denen Proust nicht abließ von seinem Werk.

Deutscher Kunstverlag, 96 S., 22 Euro
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Böthig, Peter (Hg.)
sprachzeiten: Der Literarische Salon von Ekke Maaß

Eine Dokumentation von 1978 bis 2016

Ab 1978 fanden in der Wohnküche von Ekkehard und Wilfriede Maß Lesungen abseits des offiziellen DDR-Literaturbetriebs statt, wenn auch unter den Augen der Staatssicherheit. Die vielstimmige Dokumentation vermittelt einen lebendigen Eindruck der Symbiose von Ästhetik und Lebensgefühl: Gedichte und Prosatexte stehen neben Aufzeichnungen von Ekkehard Maaß sowie, als scharfem Kontrapunkt, den Protokollen der IM. Auch nach der Wende geht der Salon in der Schönfließer Straße weiter, nun vor allem mit Gästen aus Osteuropa.

Lukas Verlag, 304 S., 25 Euro
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Beitragsbild:
Büchertisch Georg Büchner Buchladen, Berlin
Sieglinde Geisel

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Von Redaktion

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