Wieder habe ich geweint im Kino. Ich weiß, das geht nicht allen so und wenn, dann würden die meisten es nicht zugeben, kein Kafka’sches “Im Kino gewesen. Geweint”. Doch ich erlaube es mir, diese seelische Verausgabung zu genießen. Die Seele wieder einmal richtig durchgeputzt – Katharsis nannten es die alten Griechen. Uns ist die Überwältigungsästhetik unheimlich, nicht nur, weil sie von den Nazis missbraucht wurde. Ergriffenheit passt nicht zum Selbstbild des modernen, aufgeklärten Menschen.
Gut und Böse ohne Inhalt
Und doch ist die moderne Kino-Welt seit vierzig Jahren im Bann dieses Science-Fiction-Märchens. Hier ist die moderne Seele an der Tränke. Star Wars gibt uns etwas, was man sich früher in der Kirche geholt hat: einen Mythos, eine Art Heilsgeschichte in anderem Gewand. Dass wir Mythen brauchen, wollen wir nicht zugeben, deshalb verbrämen wir es als Unterhaltung und verweisen etwa auf die Spannung. Und die wird von den Star-Wars-Machern denn auch nach allen Regeln des filmischen Storytellings erzeugt, am besten mit Surround Sound und in 3D.
Doch das ist nicht der Punkt. Star Wars erzählt die ewige Geschichte vom Kampf des Bösen gegen das Gute. Die beiden Seiten der Macht haben jeweils kein Parteiprogramm, vielmehr suchen die gegensätzlichen Kräfte, so erfahren wir in Teil 7, das Gleichgewicht. Das Böse darf nicht vom Guten überwunden werden, zum einen, weil das Gute dann selbst zum Bösen würde, zum anderen natürlich, weil es dann mit Star Wars aus wäre. Welchen Inhalt das Gute oder das Böse dabei vertreten, ist gegenstandslos. Es geht um das Konzept.
Das mythologische Gerüst der Weltraumsaga
Mit der Geburt trete jeder von uns ein in das „Feld der Zeit“, so hat es der amerikanische Mythologe Joseph Campbell formuliert. Das Feld der Zeit jedoch ist das Feld der Gegensätze: Hell und Dunkel, Gut und Böse, Tod und Leben. Ohne Joseph Campbells Forschungen, so George Lucas, hätte er Star Wars nicht erschaffen können. In Campbells Buch Der Heros in tausend Gestalten entdeckte Lucas das mythologische Gerüst seiner Weltraumsaga. In jedem Star-Wars-Film finden sich die Stationen der Heldenreise: Der Held empfängt den Ruf zum Abenteuer, er oder sie bricht auf, übertritt die Schwelle in die „andere“ Welt, die laut Campbell einen anderen Bewusstseinszustand symbolisiert, kämpft dort den Kampf des Guten gegen das Böse, steht zwischen Licht und Schatten. Er trifft Verbündete und Gegner, und manchmal auch einen Trickster wie Han Solo, bei dem man nie ganz sicher wissen kann, auf welcher Seite er steht. Am Ende seiner Reise erringt der Held den Schatz/die Braut/die Weisheit und kehrt, geläutert und verwandelt, in seine Gemeinschaft zurück, um sie zu erneuern.
Wie der Film-Consultant Christopher Vogler erkannt hat, ist die Heldenreise Grundlage eines jeden massentauglichen Films. Dank Voglers (sehr empfehlenswertem!) Schreibratgeber The Writer’s Journey sind die einzelnen Stationen heute jedem Drehbuchschreiber vertraut. Der Ruf der mythischen Heldenreise allerdings hat durch die kommerzielle Ausbeutung gelitten. Es sei ein triviales Muster, heißt es gern. In der Tat findet man in Star Wars alles, was die triviale Kunst ausmacht: die Schwarz-Weiß-Zeichnung von Gut und Böse sowie Figuren, die zwar die Seiten wechseln können, sich jedoch psychologisch kaum entwickeln – und natürlich ein Happy End, so knapp es manchmal ist.
Die Heldenreise als Metapher
Bei jedem neuen Star Wars-Film frage ich mich daher, ob ich dem Kommerz auf den Leim gehe. Mein Verstand kommt seiner Pflicht durchaus nach: Ich erkenne das Gemachte, die Manipulation. Der Film bringt mich genau dorthin, wo er mich haben möchte. Doch dieses Wissen verfängt nicht. Die Heldenreise bleibt eine wirkmächtige Metapher, sowohl für das Leben des Einzelnen wie der Gemeinschaften, in denen wir leben. Kunstwerke wie Star Wars verschaffen sich Zugang zu unserem Herzen, weil sie das kollektive Unbewusste anzapfen.
Künstler schaffen Bilder, die uns helfen zu leben, so hat Joseph Campbell die Rolle der Kunst im säkularen Zeitalter definiert. Star Wars gehört zu einer Kunstgattung, die man früher „erbaulich“ genannt hat. Sie tröstet uns mit der Verheißung, dass es eine Ordnung gibt, dass wir Zugang haben zu einer Kraft in unserem Inneren – und dass das Ganze am Ende irgendwie gut ausgehen wird.