Marguerite Yourcenars literarisches Debüt von 1929 hat die Form eines Bekenntnisbriefs . In Alexis oder der vergebliche Kampf, erzählt der 24-jährige Musiker Alexis seiner Frau, die er ohne weitere Erklärungen verlassen hat, von seiner Homosexualität und von dem Kampf, den er vergeblich gegen sie geführt hat. Es ist ihm nicht gelungen, sich der herrschenden Moral anzupassen.
Als Yourcenar Alexis oder der vergebliche Kampf schrieb, war sie so alt wie ihr Protagonist, ihre literarischen Vorbilder waren Gides Traité du vain désir, Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge und, als Inspiration für den Namen von Alexis, die Zweite Ekloge von Vergil. In ihrer Erzählung wird das intime Bekenntnis, das sich gegen die Moral des frühen zwanzigsten Jahrhunderts stellt, zu einer universellen Erfahrung.
Auf den ersten Seiten des Buches schreibt Alexis seiner Frau Monika:
Wir können eben ohne Untreue gegen uns selber nicht existieren.
Das Wort „Homosexualität“ wird im Buch nie erwähnt, denn bei Alexis‘ vergeblichem Kampf geht es nicht nur um die Scham, zuzugeben, dass man sich vom Körper eines Menschen des gleichen Geschlechts angezogen fühlt. Es geht um eine viel grundsätzlichere Untreue gegenüber sich selbst: Eine Untreue, die unausweichlich zu sein scheint, wenn man sich den innersten Aspekten seiner Existenz stellen will – auch denen, die mit dem eigenen Körper und dem Körper der anderen zu tun haben.
Vielleicht ist die Wollust nur deshalb so schrecklich, weil sie uns darüber belehrt, dass wir einen Körper haben. Früher brauchten wir ihn nur, um zu leben; jetzt merken wir, dass dieser Körper sein eigenes Dasein, seine Träume und seinen Willen hat und dass wir bis zu unserm Tode mit ihm rechnen, ihm nachgeben oder ihn bekämpfen müssen. Wir fühlen (wir glauben zu fühlen), dass unsere Seele nichts weiter ist als sein tiefster und schönster Traum.
Der Brief ist eine Erzählung in der ersten Person, eine zarte Prosa voller poetischer Reflexionen, denn Yourcenar verwandelt das Drama derjenigen, die, um mit Adorno zu sprechen, das richtige Leben im falschen suchen, in Poesie. Man versteht die existenzielle Qual des Protagonisten, diesen unnatürlichen und aussichtslosen Kampf gegen sich selbst. Am Ende gewinnen die Kunst, der Musiker in Alexis und seine Hände.
Diese Hände hatten sich im vergänglichen Genuss der Umarmung um manchen Leib gelegt; hatten dankbar dem unhörbaren Wohllaut der Formen nachgetastet; hatten im Dunkel der Nacht die atmende Unsichtbarkeit des Schlafes gestreichelt. (…) Es waren die anonymen Hände eines Musikers. Sie waren, durch die Musik, meine Vermittler zu jener Unendlichkeit, die wir Gott zu nennen wagen; sie ließen mich durch das trunkene Glück der Berührung teilhaben am Leben der andern.
Bildnachweis:
Beitragsbild: Hand am Klavier,
Tadas Mikuckis [CC0], via Wikimedia Commons
Buchcover: Verlag
Marguerite YourcenarAlexis oder der vergebliche Kampf
Aus dem Französischen von Peter Gan
Carl Hanser Verlag 1993 · 144 Seiten · 14,90 Euro
ISBN: 978-3446142954
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