Gleich unterhalb von Friedrich Hebbel hängt er, der Nazi, bei mir im Arbeitszimmer an der Wand. Oben die hübsch verzierte Abschrift des Gedichts „Sommerbild“, die mir meine 16-jährige Tochter zum Geburtstag geschenkt hat, darunter die Radierung „Das Haus am Deich“ von Otto Thämer.
„Oh. Erstaunlich schön“, dachte ich, als ich das Bild in einem Stapel alter Holzrahmen entdeckte, den ich ein paar Jahre zuvor in einem Trödelladen gekauft hatte. Die anderen Rahmen waren mit Kätzchen und Blümchen bestückt. Ja, ich finde es schön, dieses Bild, genauer gesagt interessant, auch jetzt noch. Eigentlich für meinen Geschmack zu volkstümlich, aber auch kraftvoll und mit einem Himmel, wie er mir gefällt.
Verherrlichung des ‚arischen Menschen‘
Leider weiß ich inzwischen, wer Otto Thämer (1892-1975) war. Nicht nur der Grafiker und Maler aus Hamburg, der schon lange vor dem Dritten Reich erfolgreich war und auch in der Bundesrepublik als Künstler geachtet wurde. Sondern eben auch der Nationalsozialist, der Propagandaschriften illustrierte und Fresken malte, bei denen einem schlecht wird, so selbstgewiss verherrlichen sie den ‚arischen Menschen‘. Will man Werke eines solchen Mannes an der Wand hängen haben? Sollten sie heute noch in Kiel und anderswo ausgestellt werden? Und wenn ja, sollte man sie mit entsprechenden Vermerken versehen?
Man macht es sich zu einfach, wenn man behauptet, Kunstwerke stünden ganz für sich selbst und müssten nur nach ihrer Ästhetik beurteilt werden. Niemand würde guten Gedichten oder Bildern von Adolf Hitler ein Forum bieten wollen, wenn es sie denn gäbe. Andererseits fällt es schwer, das Verhalten der Menschen im Dritten Reich mit allzu großer Eindeutigkeit und Klarheit zu beurteilen, zumindest, solange sie niemanden denunziert, angegriffen oder gedemütigt haben.
Die Frage der Verführbarkeit
Was also darf man von einem Menschen wie Otto Thämer erwarten, wenn eine Diktatur entsteht, in der seine Werke geschätzt werden? Sophie Scholl hätte darauf sicher eine klare Antwort, vielleicht auch der Vater von Joachim Fest, der zwar kein Widerständler war, aber standhaft sagte: „Ich nicht“, egal wie sehr er und seine Familie deshalb zu leiden hatten.
Eine solche Haltung ist bewundernswert. Kann sie als moralischer Maßstab gelten, den man an alle Menschen anlegen darf? Hätte ich mich damals dem Sog entziehen können, ohne das Wissen von heute, ohne die Erziehung meiner Eltern? Je nach persönlicher Anlage, Elternhaus und Bildung waren die Menschen verschieden leicht verführbar, als Männer an die Macht kamen, die einfache Lösungen boten und Gefühle von Aufbruch und Energie erzeugten.
Kunst und Ideologie
Es ist mir bisher nicht gelungen herauszufinden, wie Otto Thämer im Innersten zum Nationalsozialismus stand. Die Informationen im Internet beschränken sich auf Fakten und Jahreszahlen. Sogar seine Teilnahme an der nationalsozialistischen „Großen Deutschen Kunstausstellung“ in München scheint niemandem ein paar zusätzliche Worte wert zu sein. Er sei eben ein Künstler dieser Zeit gewesen, heißt es lapidar. Als wäre damit alles erklärt und entschuldigt.
Otto Thämers Kunst passte hervorragend zur Ideologie der Zeit, das ist wahr. Mit einer Avantgarde à la Klee oder Kandinsky konnte er offenbar wenig anfangen, und man muss davon ausgehen, dass er mit seinen Propagandawerken Hitlers Schreckensherrschaft bewusst unterstützte. Eigentlich reicht das, um die Radierung an meiner Wand abzuhängen.
Vorerst lasse ich das Bild trotzdem hängen, jedenfalls, bis ich zu seinem Urheber mehr weiß. Die Gründe dafür sind vielleicht viel einfacher, als ich wahrhaben will. Vielleicht möchte ich das Bild nur weiter an meiner Wand hängen haben, weil es mir gefällt, und es kommt mir entgegen, dass ich Otto Thämer mit dem Argument der Verführbarkeit entlasten kann. Dazu würde passen, dass ich bisher nicht viel Aufwand betrieben habe, weitere Details herauszufinden. Ein halbherziger Anruf bei der Kunsthalle in Kiel war alles.
Die Fähigkeit zum Widerstand
Aber noch einmal zurück zur entscheidenden Frage: Was hätte man von einem Mann wie Thämer erwarten können? Er besaß genug Bildung, um sich in seinen Gedanken und Gefühlen eine Unabhängigkeit zu bewahren. Er hätte erkennen können, was der Nationalsozialismus war und wohin er führen konnte. Er wäre wohl kaum mit einem Berufsverbot belegt worden, wenn er sich der Propaganda verweigert hätte, seine Werke standen nicht im Widerspruch zur nationalsozialistischen Auffassung von Kunst. Auf öffentliche Anerkennung hätte er verzichten müssen, aber er hätte wohl genug private Käufer für seine Bilder gefunden.
Dennoch bin ich überzeugt, dass es damals sehr schwer war, „Ich nicht“ zu rufen. Mir hätte wohl mein Harmoniebedürfnis im Weg gestanden. Es wäre für mich kaum zu ertragen gewesen, über Jahre mit meinen Meinungen allein dazustehen, in einem beständigen Gegensatz zu fast der gesamten Gesellschaft und ohne Aussicht auf eine Besserung der Verhältnisse.
Werde ich herausbekommen, ob so etwas Ähnliches auch auf Otto Thämer zutrifft?
Lieber Florian Knoeppler, danke für Ihren nachdenklichen Text. Sie schreiben über Otto Thämer: „[…] man muss davon ausgehen, dass er mit seinen Propagandawerken Hitlers Schreckensherrschaft bewusst unterstützte.“ Sie schreiben auch, Sie könnten nicht wissen, wie sie selbst sich an Thämers Stelle verhalten hätten. Nur: Was würde es an der Bewertung dieses Verhaltens ändern, wenn wir uns vorstellen, dass Sie oder ich an Thämers Stelle womöglich das Gleiche getan hätten? Oder dass Thämer „im Innersten“ eigentlich immer ein Gegner der Nazis war? Würde es dadurch entschuldbarer oder gar richtiger, sich mit Propagandakunst bewusst in den Dienst der Nazis zu stellen?
Es stimmt: Wer verstehen will, wie eine Gesellschaft in den Faschismus kippen kann, darf nicht bei der schnellen moralischen Verurteilung stehen bleiben. Der Blick auf die vielfältigen und widersprüchlichen Lebensgeschichten der Einzelnen gibt wichtige Aufschlüsse dazu, und er schärft auch das Bewusstsein dafür, dass wir selbst moralisch nicht so überlegen sind, wie wir uns gern sehen würden.
Aber in dem Moment, in dem ich sage: „Ich wäre selbst vielleicht auch Nazi geworden, also will ich hier kein moralisches Urteil fällen“, kippt das Verstehenwollen ins Einverständnis. Dann geht es nicht mehr um ein Bewusstsein für historische Zufälle, sondern um eine Entschuldigung.
Ja, es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, wie leicht sich Menschen dazu verführen lassen können, an grauenhaften Taten mitzuwirken oder sie zu unterstützen. Es ist wichtig, sich vorzustellen: Das hätte auch ich sein können. Nur sollte das dazu führen, das Bewusstsein der Verantwortlichkeit für das eigene Handeln zu schärfen – und nicht dazu, das Handeln derer zu relativieren, die durch Mitmachen oder Anpassung das Klima der Angst erst ermöglicht haben, in dem es dann irgendwann lebensgefährlich sein konnte, sich abweichend zu äußern oder zu verhalten.
Ich weiß nicht, ob Sie das Bild zwingend abhängen müssen. Aber wenn Sie hängen lassen, dann steht es eben – wie sie schon schreiben – nicht nur für sich selbst. Es ist nicht nur eine stimmungsvolle Landschaft, die das Arbeitszimmer schmückt; es ist nicht zu reinigen von dem verstörenden Wissen.
eben das zuletzt genannte verstörende wissen bereichert das an sich ja recht banale motiv. zumal dieses ja sogar als bildlich dargestellt angesehen werden kann: bedrohliche wolken über einer scheinbar friedlichen landschaft. und auch noch eine leuchtende und eine dunkel dräuende – wenn man wüßte, von wann die radierung ist, könnte man so einiges hinein dichten.
angesichts der sonstigen werke des herrn thämer, von denen dieses ja eins der neutralen ist, sowie der beschriebenen geschichte, ist es kontaminiert. ein harmloses bild ist zum denk-, ja sogar mahn-mal mutiert.
Lieber Anselm Bühling,
ich glaube, in Ihrem Kommentar haben Sie an einem entscheidenden Punkt angesetzt. Was folgt aus der Erkenntnis, dass ich womöglich auch verführbar gewesen wäre? Wie wirkt sich das Wissen aus,dass die Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen mitgemacht haben, unterstützt haben, begeistert waren oder sogar schlimme, konkret benennbare Verbrechen verübt haben?
Ich kann solche historisch-psychologischen oder soziologischen Dinge nur begreifen, wenn ich mich einfühle, aber ich darf deshalb nicht die moralischen Maßstäbe verlieren. Letztlich darf ich nichts entschuldigen, obwohl ich einen Augenblick zuvor ein wenig besser verstanden habe. Es ist ein bisschen wie eine Spaltung oder ein plötzlicher Pespektivwechsel, der nötig ist. Vielleicht sogar ein regelrechtes Pendeln zwischen Nähe und Distanz, zwischen Empathie und kühler Beurteilung. Um es konkreter zu fassen: Otto Thämer hat sich erbärmlich und vielleicht sogar niederträchtig verhalten, einerseits, aber andererseits auch verständlich und menschlich (soweit ich das beurteilen kann).
So weit so gut, aber was macht man dann, wenn man ein paarmal hin und her gependelt ist?
Lieber Ralph,
ja, das verstörende Wissen gibt dem Bild eine zusätzliche Seite oder Note, aber wird es dadurch interessanter? Es ist übrigens von 1919. Vielleicht schwingt der Krieg noch nach. Oder es äußert sich darin einfache Begeisterung für Macht und Stärke, was ja auch nicht nur sympathisch wäre. Ich habe einen Freund gefragt, ob er es sich aufhängen würde, vor dem Hintergrund der Biografie des Künstlers. Er hat “ja” gesagt. “Und wenn es von Hitler wäre?”, habe ich nachgefragt. “Ja, auch dann”, hat er geantwortet, “weil es interessant wäre oder eine Auseinandersetzung mit dem ganzen Hintergrund nötig machen würde.” Die Antwort hat mich richtig überrascht. Ich könnte die Nähe eines Hitlers nicht ertragen. Da gibt es für mich keine Zweifel.
Was ich dagegen mit Otto Thämer mache, ist mir noch unklar. Mal sehen.
Lieber Florian Knoeppler,
das Einfühlen ist ja genau der Punkt, an dem das Verstehenwollen ins Einverständnis abzugleiten droht: „Er hat sicherlich menschlich nachvollziehbare Gründe für sein Verhalten gehabt. Ich hätte an seiner Stelle vielleicht genauso gehandelt. Also sollte ich ihn verurteilen und also sollte er vielleicht gar nicht moralisch verurteilt werden.“ Wenn ich das weiterdenke, folgt daraus, dass ich mir selbst und allen anderen auch für die Gegenwart und Zukunft eine Blankolizenz erteile, sich anzupassen und aktiv mitzumachen, wenn wieder Menschen gejagt und gemordet werden.
Sie fragen in Ihrem Text, ob die Haltung des Vaters von Joachim Fest als moralischer Maßstab für alle Menschen gelten könne. Ich möchte zurückfragen: Welche Haltung denn sonst? Wenn mehr Leute sich verhalten hätten wie er, hätte das vielleicht vieles verhindert. Warum sie es nicht getan haben, lässt sich aus ihren Lebensgeschichten heraus nachvollziehen und verstehen, nicht aber damit entschuldigen.
Für mich gibt es da kein Pendeln: Otto Thämer hat moralisch versagt, genau wie sehr viele andere Deutsche und die Gesellschaft als Ganzes. Es ist keine moralische Überheblichkeit, so zu urteilen. Das wäre es nur, wenn wir uns vormachen würden, wir selbst seien nicht anfällig für ein solches Versagen. Wir sind es. Gerade deshalb müssen wir alles daran setzen, dass sich Ähnliches nicht wiederholt.
Lieber Anselm Bühling,
in Bezug auf das Pendeln habe ich mich vielleicht nicht ganz klar oder nicht ausführlich genug ausgedrückt. Es darf kein Pendeln bei der moralischen Beurteilung geben, es darf kein Relativieren geben, wenn Menschen moralisch versagt haben, mit dem Hinweis, es sei doch letztlich menschlich gewesen. Das wird klarer, wenn man sich noch extremeres Fehlverhalten vorstellt und beispielsweise an einen KZ-Wärter oder einen NS-Politiker denkt. Dass es psychologische oder soziale Gründe für ihr Verhalten gibt, darf die moralische Beurteilung nicht relativieren.
Was ich mit “Pendeln” meinte, war etwas anderes: Ich bin der Ansicht, dass man als Historiker wie als Laie sich auch immer wieder einfühlen sollte, weil einem sonst die Möglichkeit zum Verstehen vieler Vorgänge verwehrt bleibt. In dem Punkt geben Sie mir doch recht, oder? Das habe ich jedenfalls aus Ihrem ersten Kommentar herausgelesen. Wir sind uns also einig? Kein moralisch hohes Ross und keine dauerhafte, immerwährende Distanz zu den Menschen von damals, weil man sonst zu viel nicht verstehen kann?
Trotzdem bleibt vielleicht ein Unterschied zwischen Ihrer und meiner Meinung übrig. Sie bestehen darauf, dass eine Haltung wie die des Vaters von Joachim Fest der moralische Maßstab sein muss. Ich könnte mich allenfalls mit dem Begriff “positiver Orientierungspunkt” anfreunden. Eine solche Verweigerung sollte als Folie sichtbar bleiben und auch mir heute Orientierung dabei geben, wie ich mich verhalte. Das ja. Aber es bedarf außerordentlicher Charakterstärke, Widerständler oder konsequenter Verweigerer zu werden. Anders gesagt: Es ist viel verlangt, wenn man das in vollem Umfang von jedem einfordert.
Lieber Florian Knoeppler, vielen Dank für Ihre Klarstellung! Sie zeigt mir, dass wir wirklich nicht sehr weit auseinanderliegen. Was die Einfühlung angeht: Ich finde sie schwierig, weil sie so leicht in Identifizierung umschlägt. Sie setzt die Fähigkeit zur Distanzierung und kritischen Reflexion voraus. Dann kann sie in bestimmten Zusammenhängen vielleicht wirklich erkenntnisfördernd sein. Ansonsten glaube ich, dass sich Lebensgeschichten auch ohne Einfühlung verstehend nachvollziehen lassen.
Und zum moralischen Maßstab: Mir scheint, der darf sich nicht danach richten, ob es der Mehrheit auch nicht zu unbequem wird, ihm gerecht zu werden. Es kann doch nicht sein, dass der Maßstab für moralisch richtiges Handeln in dem Maß sinkt, in dem ein unmoralisches Herrschaftssystem die Kosten dafür erhöht. Natürlich würden die meisten – wohl auch wir beide – vor dem Gedanken zurückschrecken, für anständiges Verhalten mit der Existenz oder gar mit dem Leben zu bezahlen. Aber das heißt doch, dass wir es gar nicht erst dahin kommen lassen dürfen – dass wir ein Mindestmaß an Verantwortung übernehmen müssen für die Gesellschaft, in der wir leben.
Die ersten, die damals mitmachten oder wegschauten, haben den Weg zur Repression überhaupt erst geebnet. Die letzten wollten das nackte Leben retten. Wir haben kein Recht, ihnen das vorzuwerfen. Aber gerade sie wussten genau, dass sie moralisch gebrochen wurden und würden nicht von sich behaupten, sie hätten nach dem Maßstab der damaligen Zeit vorbildlich richtig gehandelt. Das ist der Punkt, auf den es mir ankommt.
es wird zunehmend esoterisch hier. ich denke: wir wissen all das nicht. wir waren + sind nicht in diesen umständen. und auch jetzt – sind wir alle … nicht vorbildlich. was uns unsere kinder, hätten wir sie denn, dereinst vorwerfen werden – wir wissen es nicht. es gäbe so einiges …
eine kurze frage ist manchmal besser als lange antworten.
und ein bild ist – trotz allem – ein bild. darin hat viel platz.
(ein ausführlicher nachtrag wurde gerade gelöscht, weil ich nicht erneut die anderen felder ausgefüllt hatte – läßt sich das umprogrammieren?)
Lieber Ralph, ich finde das auch ärgerlich, aber es lässt sich leider nicht umprogrammieren. Ich kann nur empfehlen, längere Kommentare erst in einem Editor oder einer Textverarbeitung zu schreiben und lokal zu speichern, damit sie nicht bei einem kleinen Fehler im Nirwana verschwinden…
Als Kunsthistorikerin finde ich die Diskussion äußerst befremdlich. Es geht hier nirgends um die ästhetische Qualität des Bildes. Grundsätzlich wissen wir, dass Künstler auch schlechte Menschen sein können und gewesen sind und in ihrem Urteil – auch dem politischen – fehlen können und gefehlt haben. Wollen wir deswegen alle Caravaggios abhängen? Selbstverständlich ist das Wissen um die historischen Hintergründe relevant, unentbehrlich und gehört zur kunsthistorischen Analyse und Bearbeitung einer Künstlerpersönlichkeit hinzu.
Die “Bewertung” historischer Persönlichkeiten ex post sollten wir uns – abgesehen von den Menschheitsverbrechern, die wir hier alle nennen würden – allerdings nicht allzu leicht machen aus unserer bequemen rechtssicheren Gegenwart.
Insofern würde ich die ästhetische Beurteilung auf einer anderen Ebene ansiedeln als die der Künstlerpersönlichkeit. Mir scheint die Arbeit qualitätvoll, ich möchte die Gründe hier nicht alle aufzählen, aber es gibt eine ganze Reihe und insofern verdient das Bild Beachtung. Die Frage, ob man das Bild eines Nazi-Künstlers, Parteigängers oder Mitläufer (je nachdem, wie die Beurteilung ausfällt), in seinen vier Wänden haben möchte, würde ich davon unterscheiden und die Antwort ist auch eher eine persönliche. Das Bild aufzuhängen kann gut gehen, muß aber nicht. Mit der Qualität des Werks als solchem hat es nichts zu tun, es unterscheidet sich in ästhetischer Hinsicht wenig etwa von den Werken der Worpsweder Maler oder überhaupt norddeutscher Malerei jener Zeit, es ist heimatverbunden (das waren viele), es ist aber nicht konservativ in der Wahl seiner Mittel, sondern durchaus modern oder knüpft zumindest an eine Moderne an, wie sie Walter Leistikow (allerdings etwas früher) vertrat.
Ich gebe Ihnen, Frau Res, vollkommen recht, dass man einem Künstler und auch einem Kunstwerk nicht gerecht wird, wenn man den ästhetischen Wert eines Werks außer acht lässt. Aber ich wollte Otto Thämer von Anfang an nicht hinsichtlich seiner Qualität als Künstler bewerten. Mir ging es schon im Ansatz nur um die Frage, ob ich das Bild an meiner Wand haben möchte. Ich finde einen solchen Ansatz legitim und ich vermute, dass Sie das ebenfalls so sehen. Davon unabhängig glaube ich nicht, dass ich es mir leicht mache bei der Bewertung Thämers als historischer Persönlichkeit. Schließlich habe ich mir im Beitrag auch darüber Gedanken gemacht, ob ich mich besser verhalten hätte.
Nach meinem Beitrag im Januar habe ich übrigens im Laufe der Wochen immer weniger in Betracht gezogen, das Bild abzuhängen. Das liegt zum einen daran, dass ich auch einige Drucke von Emil Nolde in der Wohnung verteilt habe, auf die ich nicht leicht verzichten könnte, obwohl er abstoßende antisemitische Aussagen getätigt hat, zum anderen liegt es daran, dass ich über Otto Thämer nichts herausbekommen habe, das ihn als widerlichen Aggressor entlarvt hätte. Einen Denunzianten oder Schläger hätte ich nicht mehr anschauen mögen.
Hallo Herr Knöppler, wir sind da sicher nah beieinander. Das war auch gar kein persönlich gemeinter Einwand. Sie würden die Diskussion ja nicht eröffnen, wenn Sie es sich leichtmachten. Gleichwohl eine Frage: Bemerken Sie, dass Sie die ganze Zeit mit Ihrer Sprache das Bild personalisieren und beides in eins setzen? “Ein Nazi an der Wand”, “einen Denunzianten und Schläger hätte ich nicht mehr anschauen mögen”.
Ich kann Ihnen nur raten, viel deutlicher zu trennen. Künstler sind keine Helden. Wohl gab es eine Zeit der Kunstgeschichtsschreibung, die dies versuchte, Künstler zu “Helden” zu erklären und die, die Gefallen an ihnen fanden, zu “Gefolgschaften”. Es gab “Sieger”, “Gewinner” und “Verlierer”. Die Abfolge von Kunstströmungen wurden in einer antagonistischen Terminologie erzählt, die an kriegerische Ereignisse erinnerte. Künstler wurden überhöht: Sie waren Propheten, sie “sahen” oder “waren” ihrer Zeit voraus. Sie “ahnten” Kommendes.
Doch diese Zeit ist vorbei. Die Kunstgeschichte sieht dies mittlerweile anders (wenn es auch wieder gesellschaftliche Strömungen gibt, die Wissenschaft als Ideologie betreiben).
Daher würde ich mir immer vor Augen halten, dass es besser ist, Künstler von ihren Podesten herunterzuholen. Künstler sind Menschen, vielfach solche, die ihre Situation, ihre Traumata, ihr Leiden, ihre Widersprüche nur aushalten können, weil sie die Möglichkeit haben, Kunst zu machen. Deswegen würde ich mich ganz anderen Fragen widmen an Ihrer Stelle und mich tatsächlich auf das Bild konzentrieren. Sehen Sie da etwas Nationalsozialistisches? Wenn ja, was? Wenn nein, was sehen Sie?
Hallo Frau Res, ich glaube ganz wie Sie, dass man von Künstlern moralisch gesehen nicht mehr erwarten kann und darf als von anderen Menschen. Solche übersteigerten Erwartungen habe ich vermutlich nie gehabt, auch nicht als jüngerer Mann. Aber ich glaube auch, dass man ein Kunstwerk nie ganz von dem Urheber trennen kann. In dieser Frage finde ich beide Extreme abwegig, sowohl die vollständige Trennung vom Künstler als auch das Ineinssetzen von Werk und Künstler. Im Alltag wirkt sich das bei mir so aus, dass ich Noldes Gemälde ohne einen Gedanken an den Mann mit Pinseln oder Teetassen in der Hand betrachte. Hätte er damals aber in einem Gestapokeller Kommunisten verhört, dann würde ich die Nähe dieser Bilder und damit auch dieses Mannes nicht ertragen können. Denn natürlich – da werden Sie mir vermutlich recht geben – ist der Künstler in seinem Werk gegenwärtig, bis zu einem gewissen Grad, der wohl von Werk zu Werk variiert.
Hallo Herr Knöppler, klar. Das würde auch jeder verstehen. Trotzdem wissen Sie ja eigentlich gar nichts über den Künstler. War er in der NSDAP? War er in der Reichskulturkammer? Vielleicht hat er den einen oder anderen offiziellen Auftrag ausgeführt und versucht, seine Familie zu ernähren? Dennoch muß man das Werk erst einmal für sich sprechen lassen. Deswegen habe ich Sie ermuntert, mal genauer hinzusehen. Mir scheint, Sie tun ihm unrecht. Der beste Weg, um die Intention des Künstlers in einem Werk zu erfassen, ist nicht die Ableitung über die Biografie, sondern die genaue Werkbeschreibung. Und wenn ich das Bild – eine Radierung, meine ich, oder? – für mich beschreibe und analysiere, komme ich zu etwas anderem als zu Nazikunst und zu einer anderen Haltung als die, die Sie hier skizzieren. Ganz nebenbei: Ich würde für die sehr schöne Radierung auch ein professionelles Passepartout verwenden, kostet nicht viel, und einen größeren Rahmen, es braucht oben und unten mehr Platz.
Übrigens: Man kann Landschaften auch als Selbstbildnisse deuten.
Viel Freude weiterhin mit dem schönen Werk.