Tomer Gardi: Lachsfarbenes Leinenhemd floral

In ihrer tristesse forestière hätte sich die gestern vorgestellte Ada Dorian auch an ihren israelischen Kollegen Tomer Gardi (geb. 1974) wenden können. Er hätte ihr gezeigt, wie man das mit den floralen Stoffen noch einmal anders macht. Sein gänzlich ton- und sprachloses Porträt besteht nämlich einzig und allein in der allmählichen Ablichtung seines gut gekleideten und stark behaarten Schriftstellerkörpers. Im Zentrum dieser dröhnend oberflächlichen Schau steht Gardis lachsfarbenes Leinenhemd mit Blumenmotiven sowie, unübersehbar, sein beeindruckend dichtes Brusthaar. Wenn wir schon bei VOX sind (siehe Ada Dorian): Guido Maria Kretschmer von Shopping Queen würde von einer „wirklich ganz tollen, tollen Kombination aus Zuhälter, Maxim Biller und Magnum“ schwärmen. Gardis Trick: wenig preisgeben und den Leuten als Erst-Eindruck nur das Image des schelmisch-derben jüdischen Dichters präsentieren. More to follow.

Mutmaßung

In der Jurydiskussion obligater Vergleich mit Maxim Biller sowie Verweis auf eine jüdische Erzähltradition, von der wenige tatsächlich Ahnung haben, die aber gerne herbeizitiert wird. Amos Oz und so.

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Sascha Macht: Überrumpelnde Täuschung

Nach der Stille bei Gardi fällt das Porträt von Sascha Macht (geb. 1986) umso mehr auf. Gleich zu Beginn die Frage: Ist das die Stimme des Autors? Rascher Abgleich mit einer Lesung: leider nein. Das wird in Klagenfurt natürlich schwierig. Erst kriegen Jury und Publikum diese sonorig-geile Stimme zu hören, und dann kommt Macht mit einer gängigen „voice of Germany“ daher. Überhaupt scheint überrumpelnde Täuschung Machts Metier zu sein, was ja erstmal nicht schlecht ist für einen Schriftsteller. Das Video spielt zum Teil in Köln, fernab von den bösen Schreibschulen in Hildesheim, Berlin oder Leipzig. Nun hat Macht aber am Leipziger Literaturinstitut studiert. Zudem collagiert der Clip verwackelte und farbübersättigte 70er-Jahre-Aufnahmen von verkleideten Kindern sowie fingierte Filmszenen und südamerikanische Posen. Bei Machts Beitrag erwartet uns das, worüber Frank Witzel und Philipp Felsch im Gesprächsband BRD Noir so ausgiebig geredet haben: die ästhetische Historisierung der alten BRD, fernab von Idylle und Gewöhnlichkeit.

Mutmaßung

Angereichert mit etwas magischem Narco-Realismus aus Südamerika, wird uns in Machts Prosa das Unheimliche und Abgründige einer BRD präsentiert werden, deren Passé-Sein wir dieser Tage erst allmählich zu spüren beginnen.

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Isabelle Lehn: Nah, menschlich, sympathisch

Isabelle Lehn (geb. 1979) kommt ebenfalls von der Leipziger Schreibschule, ihr Clip ist bodenständiger als der von Macht. Bei ihr gibt es weder ein großangelegtes Inszenierungsmanöver, noch werden wir mit suggestiven Überblendungen überschüttet. Stattdessen: idyllisches Menschentreiben in Leipzig. Sogar Sascha Macht streunt intertextuell durch den Clip, in seinem Cameo-Auftritt sitzt er mampfend auf dem Platz. Eine städtische Luftbrise hier, ein wenig Grünfläche dort, ein paar Graffiti, eine Bulldogge und türkische Kids, die Fußball spielen – was braucht das Autorenauge mehr? Als zufriedene Stadtplatzschreiberin hockt Lehn zwischen alledem und schreibt ihre Beobachtungen per Hand in ihr Heft.

Mutmaßung

Nah, menschlich, sympathisch – so wird auch ihr Textbeitrag sein. Isabelle Lehn widmet sich, so das potentielle Lob der Jury, dem „Bravourösen im Alltäglichen“ und läuft damit womöglich Gefahr, in braver und einfühlsamer Kontemplation zu stagnieren.

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Stefanie Sargnagel: Elendsbiografie

Sich des Braven und Vorhersehbaren zu erwehren, ist wiederum die selbstauferlegte Aufgabe von Stefanie Sargnagel (geb. 1986). Bisher hat die Österreicherin erfolgreich daran gearbeitet, sich als Marke zu etablieren. Der Name, die Mütze, die derb-aphoristischen facebook-Posts – alles Werbemaßnahmen für das Label „Sargnagel“. Ihr Videoporträt, in Windows-Paint-Optik gehalten, folgt derselben Logik. Oben links prangt eine mies gezeichnete traurige Sonne, der Rest ist einfallslos erzählte Elendsbiografie. Wir hören Sätze wie „Meine Lieblingsfarbe ist intensives Grau“ und ahnen: Mehr wird auch in ihrem Prosastück nicht kommen. Gerade darauf freuen wir uns. Keine ausgetüftelte Zeitstruktur in der Erzählung, keine adjektivisch hochgerüsteten Figuren, einfach bloß eine Portion Wiener Banlieu-Slang, den Sargnagel uns Hochkulturellen und Schreibschulmüden zugänglich macht. Danke!

Mutmaßung:

Bei den TDDL wird ihr das von-Rönne-Problem begegnen. Dermaßen zugeschüttet mit Vorwegnahmen bezüglich ihrer Person wird von ihr nichts übrig bleiben als das Label, das sie eh schon hat: kultiviert grobschlächtig und verweigernd derb.

Fortsetzung folgt

Erster Teil

Dritter Teil

 

Bildnachweis:
Beitragsbild-Montage unter Verwendung von:
Hofer-Supermarkt in Österreich, von High Contrast (Eigenes Werk) [CC BY 3.0 de], via Wikimedia Commons
Selfie Icon von Claire Jones (http://thenounproject.com/term/selfie/28250/) [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons
Video-Stills: ORF

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Von Samuel Hamen

Promovend an der Universität Heidelberg. Samuel Hamen ist externer Mitarbeiter des Centre national de littérature (CNL) in Luxemburg, betreut den Literaturblog www.ltrtr.de und ist zudem für die Tageszeitung „Lëtzebuerger Journal“ als Literaturkolumnist tätig.

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