Auch wenn niemand mir das glauben wird: Noch gestern habe ich an Milan Kunderas Roman Die Unsterblichkeit gedacht. So etwas verpflichtet, deshalb ein spontaner Nachruf.

Milan Kundera war Ende der 80er Jahre in meinem Umfeld der unumstrittene Star unter den Lebenden, wichtiger als T.C. Boyle, John Irving oder auch Günter Grass.

Seine Literatur und seine politische Moral entwickelten sich aus der Ästhetik. Er war für mich der erste, der mit den Argumenten Nietzsches die westeuropäischen Befreiungsbewegungen kritisierte, der ihre Ideologie, ihren Kitsch, ihre blinden Flecken fand.

Milan Kundera fand diese blinden Flecken deswegen, weil er sie aus seiner Heimat, der Tschechoslowakei, nur zu genau kannte. Von dieser Kenntnis erzählt sein erster Roman Der Scherz: Ein harmloser Postkartenscherz entfacht einen sozialistischen Shitstorm. Und gleichzeitig wusste Kundera, als Flüchtling aus dem Sozialismus, um den Kitsch der Konservativen, der westlichen Gegenbewegung. Kitsch gegen Kitsch, so lautete seine Diagnose des Ost-West-Konflikts. Und politischer Kitsch ist gefährlich.

In Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins – die deutsche Auflage des Romans sprengte damals die Millionengrenze – erzählt Kundera von diesem Kitsch. Vom Leben der Exilierten, von ihrer Rückkehr, die keine Rückkehr werden konnte. Vom Wahnsinn der Weltgeschichte.

Und vom Tod des Hundes Karenin, der vom Protagonisten Tomas die erlösende Spritze erhalten soll.

Verglichen mit den Menschen hat der Hund nicht sehr viele Vorteile, einer aber ist bemerkenswert: Im Falle des Hundes ist die Euthanasie nicht durch das Gesetz verboten; das Tier hat ein Anrecht auf einen barmherzigen Tod.


Um dann zu schließen:

Lange Zeit hatte Tomas darauf beharrt, Karenin die Spitze nicht selbst zu geben, sondern den Tierarzt zu rufen. Doch dann begriff er, dass er seinem Hund ein Vorrecht einräumen konnte, in dessen Genuß ein Mensch nie kommt: der Tod würde in Gestalt derer zu ihm kommen, die er liebt.

Milan Kunderas Tod ist nach 94 Lebensjahren gestern in Paris zu ihm gekommen.

Bildnachweis:
Beitragsbild: Lukáš Lukeš, via Wikimedia

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Von Herwig Finkeldey

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