Am Anfang war der Himmel. Bis gegen 1800, als längst weite Teile der Welt dem kritisch-naturwissenschaftlichen Blick ausgesetzt waren, schauten die Menschen immer noch ausschließlich mit Empfindung zu ihm hoch. Nie würden der Himmel, die Wolken oder der aus dem Nichts entstehende Wind seine Geheimnisse preisgeben, so schien es damals. Auch diese romantische Bastion musste fallen – aus dem erhabenen Himmel wurde die profane Atmosphäre. Wie das im 19. Jahrhundert geschah, davon erzählt Peter Moore in seinem wunderbaren Buch Das Wetter-Experiment.

Wissenschaftsstreit um Wirbelstürme

Anhand von biografischen Verknüpfungen der einzelnen Forscher schildert Moore, wie sich das Netz der Meteorologie ausbreitete und dabei immer dichter wurde. Wir begegnen Sir Francis Beaufort mit seiner heute noch gebräuchlichen Windskala, dem Ballonfahrer Glaisher, der erstmals das Phänomen beschrieb, das wir heute als Jetstream kennen, und natürlich Samuel Morse mit seinem elektrischer Telegrafen.

Auch ein veritabler Wissenschaftsstreit des 19 Jahrhunderts fehlt nicht: Sir William Ried und William Charles Redfield stritten mit James Pollard Espy um die Natur von Wirbelstürmen. Ried behauptete, dass es sich bei Stürmen um wechselnde Winde handle, die sich um ein Zentrum nach außen drehen. Er fand dies durch Feldforschung heraus, denn im Verlauf eines Tornados an der US-Westküste waren die Bäume in unterschiedliche Richtungen geknickt. Espy wiederum fokussierte auf das Zentrum des Sturms und behauptete, es gäbe einen Sog nach oben, gewissermaßen eine Schlotwirkung. Heute ist uns das Tragische an diesem Streit klar: Beide hatten recht, die scheinbare Unversöhnlichkeit der Anschauungen existierte nur in den Köpfen der Kontrahenten. Weiter erzählt Moore, wie Espy sich als Regenmacher unmöglich machte und deswegen den Streit „verlor“. Er wollte Wälder abbrennen, damit der entstehende Rauch als Regen über Wüsten niederginge, um diese zu bewässern. Schließlich gab man ihm die Gelegenheit dazu. Die von Moore zitierten höhnischen Zeitungsberichte nach dem Ausbleiben des Regens zeigen, dass das öffentliche Sprechen früher keineswegs sanfter war.

Künstler als Wetterforscher

Peter Moore belässt es nicht bei der Wissenschaftsgeschichte. Er zeigt vielmehr, dass die Kunst manchmal der Wissenschaft auf deren eigenem Pfad voran geht. So fertigte der vermeintlich subjektiv-romantische Maler John Constable im Jahr 1821 Wolkenstudien an, doch seine Blätter beschrieb er zugleich mit meteorologischen Daten, Windrichtung, Windstärke Niederschlag. Das war nichts anderes als meteorologische Feldforschung. Später schreibt Constable:

Die Malerei ist eben auch eine Wissenschaft und sollte als Untersuchung der Naturgesetze betrieben werden.

Auch in der Kunst veränderte sich damals also der Blick auf den Himmel.

Ist Wissenschaft eine Glaubensfrage?

Ein britischer Wetterforscher steht bei Moore im Mittelpunkt: der Marineoffizier und spätere Leiter des Meteorologischen Amts in London Robert FitzRoy. Auf ihn geht der Begriff Wettervorhersage zurück, „forecasting the weather“. Denn darum ging es FitzRoy: Stürme vorherzusagen, um daraus ein Sturmwarnsystem zu etablieren. Mit dem von Morse entwickelten Telegrafen und engmaschig aufgebauten Küstenstationen sollte dies möglich werden.

Beruflich hatte FitzRoy allen Grund, ein Sturmwarnsystem zu entwickeln. Als Kapitän der britischen Kriegsmarine hatte er alle Weltmeer bereist und die Gefahren des Wetters hinreichend kennen gelernt. Er ist uns heute vor allem als Kapitän der HMS „Beagle“ bekannt, an der auch ein junger Theologie- und Wissenschaftsstudent teilnahm, der Fitzroy auf der jahrelang avisierten Vermessungsfahrt eigentlich nur als intellektueller Stichwortgeber zugewiesen worden war: Charles Darwin.

Während Darwin die Vergangenheit neu erklären sollte, tat FitzRoy mit seiner Wetterprognose dasselbe für die Zukunft. Beide denken sich die Entwicklung ohne Gott. Moore erkennt:

Prognose und Evolution waren wissenschaftliche Zwillinge.

Weiter schreibt er:

Die Leute mussten der Wissenschaft glauben.

In dieser Formulierung bringt Moore zwei Begriffe zusammen, die einander in der Evolutionsdiskussion so unversöhnlich gegenüber standen: Glauben und Wissenschaft!

Können Zukunftsaussagen wissenschaftlich sein? Moore zitiert zunächst den Physiker Bridgman:

Ich persönlich bin nicht der Auffassung, dass man davon reden sollte, Aussagen über die Zukunft zu machen. Für mich impliziert eine Aussage die Möglichkeit, ihre Wahrheit zu verifizieren, und die Wahrheit einer Aussage über die Zukunft lässt sich nicht verifizieren.

Doch dann liefert Moore Gegenargumente. Sofern Wissen möglich sei, müssten auch Wahrscheinlichkeitsaussagen auf dem Zeitstrahl nach vorne möglich sein. Das habe das „Wetter-Experiment“ bewiesen, so Moore. Dass es einen menschengemachten Anteil bei der hohen CO2-Konzentration und damit eine Verantwortung für den Klimawandel gibt, könne nach der Datenlage nicht geleugnet werden. Auch wenn letzte Beweise für die Thesen der Klimakritiker fehlten, seien sie doch plausibler als alles andere.

Moore überzeugt durch seinen unangestrengten Ton, er beschwört keine Apokalypsis herauf. Stattdessen verweist er auf Joseph Conrads Erzählung Taifun. Der Kapitän MacWhirr ignoriert die Warnungen seines Barometers und steuert direkt in einen Taifun hinein. Nur knapp kommt er mit seinem Schiff davon.

Wir können Vertrauen in die Wissenschaft setzen oder der Natur ihren Lauf lassen, wie es Kapitän MacWhirr in Joseph Conrads Taifun tat.

So Moores süffisanter Kommentar.

Wer ein Buch liest, der geht in einen Dialog mit dem Autor. Über 500 Seiten habe ich mich mit Peter Moore über das Wetter, über das Klima und schließlich über den Klimawandel unterhalten – und mich dabei keine Seite gelangweilt.

Angaben zum Buch
Peter Moore
Das Wetter-Experiment. Von Himmelsbeobachtern und den Pionieren der Meteorologie
Sachbuch. Aus dem Englischen von Michael Hein
mare Verlag 2016 · 560 Seiten · 26,00 Euro
ISBN: 123-4-5678-91-0
Das Wetter-Experiment
Bei Amazon oder buecher.de
Beitragsbild:
John Constable: Salisbury Cathedral from the Meadows (Skizze, vor 1831)

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Von Herwig Finkeldey

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