…”aus der Tiefe des Volksgemüths”

Von Hartmut Finkeldey

Im Fischer-Lexikon Literatur von 1965, herausgegeben von Wolf-Hartmut Friedrich und Walther Killy, findet sich das Stichwort „Trivialliteratur“. Der Eintrag ist verfasst von Walter Nutz, der bezeichnenderweise auch das Stichwort „Geschmack“ bearbeitet hat. Sein Eintrag zeigt, wie wenig die Debatte zur Trivialliteratur in den letzten fünfzig Jahren vorangekommen ist. Gero von Wilperts Wertung in Sachwörterbuch Literatur – „niederes und literarisch wertloses Unterhaltungsschriftum“ – weist Walter Nutz als unzulänglich zurück. Er untersucht das Phänomen zunächst literatursoziologisch. Eines aber diskutiert auch Nutz nicht: Nämlich ob es das Triviale überhaupt gibt. Ihm ist die begriffliche Unschärfe klar, er kennt die Grenzfälle, und er differenziert zwischen Unterhaltungs- und Trivialliteratur. Und doch bestreitet Nutz nicht, dass es einen Cluster von Eigenschaften gibt, mit denen wir in einer großen Zahl von Fällen entscheiden können, ob ein Text trivial ist.

Und damit liegt er auch im Jahr 2016 richtig. Wenn Begriffe an den Rändern unscharf sind, heißt das nicht, dass man mit diesen Begriffen überhaupt nicht operieren könnte. Ich nenne dies einen Fehlschluss aus begrifflichem Zweifel: Als ob begriffliche Unsicherheit in Einzelfällen uns das begriffliche Denken insgesamt verunmöglichte.

Trivialliteratur ist und bleibt jeder voraussagbare, mitunter regelrecht nach genormten Vorlagen erstellte Text, in dem nichts passiert, sich nichts bewegt, wir nicht überrascht werden und der uns oft mit Zweier- und Dreierfiguren sowie schiefen, herbei poetasterten Bildern regelrecht überrennt. Der erste Absatz von E. Marlitts Trivialroman Goldelse (1868) lautet:

Den ganzen Tag über hatte es geschneit, und zwar so recht mit Muße und Gemächlichkeit, so daß die Dächer und Fenstersimse dicke, fleckenlos weiße Polster angelegt hatten. Nun brach ein früher Abend herein und mit ihm ein wilder Sturm, der heimtückisch in die niedertaumelnden Schneeflocken fuhr, wie ein Raubthier zwischen eine friedliche Taubenschaar.

Die klassischen Liebesromane, die Walter Nutz noch im Blick hatte, sind inzwischen postmodern ergänzt worden. Neben die gesellschaftlich unmögliche Liebe, die dann entweder im Courths-Mahler-Verfahren („Sie hatte den wahren Adel, den der Seele“) oder per deus ex machina aufgelöst wird (ein altes Pergament beweist, dass Lieschen Müller doch adelig ist), treten weitere Varianten. Der Serial-Killer-Roman etwa – möglichst bluttriefend, mit einem Hannibal Lecter und einer Clarice Starling – wird inzwischen fließbandartig hergestellt. Eine perfekte Massenproduktion, steril wie die Reagenzgläser im DNA-Labor.

Einen Algorithmus, um Trivialität sicher zu erkennen, gibt es nicht, denn wir haben ja auch Mischformen, Zweifelhaftes. Aber wir können, mit zunehmender Leseerfahrung, Kitsch und Kunst unterscheiden. Warum erkennen wir in Stefan Georges komm in den totgesagten park und schau – bei aller Problematik, die der Dichter-Gestalt George zweifellos eignet – ein großes Gedicht, während Carl Busses Ich möchte sterben – ebenfalls ein Naturgedicht – nur sentimentaler Kitsch ist? Man lese beide Gedichte, und man wird wissen.

Bei George eine kunstvoll objektivierende Naturlyrik:

komm in den totgesagten park und schau –
der schimmer ferner lächelnder gestade –
der reinen wolken unverhofftes blau –
erhellt die weiher und die bunten pfade

Dieses berühmte „unverhoffte blau“ allein (die Wolken selbst sind natürlich weiß, das Blau des Himmels grenzt sie ein) würde George fast schon als Dichter legitimieren. Ralph-Rainer Wuthenow spricht zu Recht davon, dass George „die sentimental gewordene und zur privaten Gefühlsäußerung verkommene Erlebnislyrik verabschiedet hat“ (Wuthenow: „Zur Lyrik Stefan Georges“, in: Hartung, Harald, Gedichte und Interpretationen, Band V).

Dagegen der heute zu recht vergessene Carl Busse:

Ich möchte sterben, wenn in Stadt und Hag
Zu Ende geht ein lieber Frühlingstag.

Die jungen Mädchen stehn vor Tür und Tor,
Die Gärten blühn, die Kinder spielen munter,
Groß und verleuchtend geht die Sonne unter
Und Mütterchen nimmt sich die Bibel vor.

Hans-Dieter Gelfert spottet über den „biedermeierlich frömmelnden“ Kontext des Gedichts und erklärt aus gutem Grund:

Ein Dichter hat das Recht, den Tod als Befreier oder Erlöser zu feiern; denn das impliziert eine Kritik an der Unerträglichkeit des Lebens. Aber einen Anfall von Frühjahrsmüdigkeit zu nehmen, um sich in Todesphantasien zu suhlen, ist unerträgliches Gesülze.

Hans-Dieter Gelfert, Wie interpretiert man ein Gedicht?

Es geht nicht darum, Busse zu verbieten, und wer solche Gefühle „aus der Tiefe des Volksgemüths“ (so der zeitgenössische Literat Hans Benzmann 1908 lobend über Busse) goutiert, der darf das natürlich. Genauso, wie Hans-Dieter Gelfert sagen darf, was von Busses Gedicht literarisch zu halten ist: Nämlich nichts!

Der gerne auch aggressiv vorgetragene Vorwurf, die happy few würden sich elitär über die Masse erheben, um ihre Distinktionsgewinne abzusichern und abzufeiern, zieht bei der Debatte um die Trivialliteratur nicht. Niemand wird daran gehindert, Kafka, Beckett (Samuel), Petrarca, Hölderlin zu lesen. Greift jemand lieber zu Konsalik oder meinethalben Beckett (Simon), so darf er das natürlich. Nur eine ästhetische Legitimation für diese Entscheidung kann er nicht erwarten.

Teilen über:

Von Redaktion

23 Kommentare

  1. In der Tat wirken andere Kräfte, bei dem Bestimmen von Klassizität als von Markterfolg. Aber sie sind oft den Kräften des Marktes nicht unähnlich, auch wenn der Markt hier ein anderer ist, die Sedimente vergangener Moden mitträgt und durch schulische und universitäre Diskurse stärker geprägt ist, als durch journalistische. Man kann es leicht an den Klassikern des späten 18. Jahrhunderts sehen. Der Germanist weiß Romane wie den Wilhelm Meister oder Wielands Agaton zu nennen, dass sind Wegsteine aus der Sicht der frühen Germanistik, die bis heute kolportiert werden. Karl August Musaeus der mit seiner alles verätzenden Ironie in einer Zeit gegen den Strom schwamm, die gerade anhob, sich wieder große Erzählungen zu trauen (Fichte Schelling Hegel, Ranke, Herder, die Weimarer Klassik) ist heute nahezu vergessen. Der Kanonisierungszug hat mit den Märchen nur sein hausbackendstes Werk mitgenommen. Man musste schon so erfolgreich verkaufen sein wie Jean Paul, damit man vom Kanonisierungszug nicht am Bahnsteig stehen gelassen wurde. Aber auch umgekehrt: Campes Robinson, ein schrecklich triviales, bigottes Buch erlebte bis ins 20. Jahrhundert eine dreistellige Zahl von Auflagen und ist erst in den Ruinen des 2. Weltkrieges endgültig verschütt gegangen. Ebenso Gessner.
    Was sollen wir zu den Büchern sagen, die im 18. Jahrhundert Klassiker waren. Schiller war offenbar von Abraham a Santa Clara tief beeindruckt. Jedenfalls hat er ihn gerne ausgewaidet.
    Auch echten Klassikern ging es so: Ich weiß von einer Dame, die in den 50ern Dantes Komödie als Erbauungsliteratur zitierte. Heute mag der einhellige Klassikerstatus eher an Lektüren wie denen von Mandelstam, Celan, T.S. Eliot und Borges liegen? Es waren immer Leute, die uns das ins Gedächtnis riefen. Bunyans „Pilgrims Progress“ dümpelt in Deutschland in vereinzelten Ausgaben christlicher Verlage für fromme Interessen vor sich hin. Niemand kann sich vorstellen, dass man das als Klassiker lesen kann. Aber die unfreiwillige Komik des Werkes kann schnell in heißen Ernst umschlagen, genau wie bei Dante, aber beim Klassiker verkneifen wir uns diese Phase des Lachens und gehen gleich zur Epiphanie über.
    Klassizität hat also ebenfalls etwas mit Leservorurteilen zu tun. Klassiker wird generell etwas, dass die Vorstellungen über ein Zeitalter bestätigt. Etwas, was da nicht so gut zum Schulbild einer Epoche passt, wird oft liegengelassen. (Ich finde z.B. Klabund frischer als Hoddis dennoch wird man Klassizität eher letzterem nachsagen usw.) Man stößt einfach niemals aus dem Reich der Vorurteile und des Marktes hindurch in den Bereich der reinen Luft, die davon frei ist. Man trifft allenfalls auf interessantere Vorurteile.

    Antworten

  2. Zu Hartmann:

    „Aber die meisten stellen lediglich auf erzählte Handlung ab, also auf den Plot und dienen damit dem Bedürfnis nach leichter Konsumierbarkeit.“ Ich würde sagen dieser Einwand trifft deshalb auf Bücher, weil wir inzwischen reiche Möglichkeiten des filmischen Darstellens haben. Literatur wird da schnell zum Derivat, das nur nur noch sinnvoll ist, wenn man gerade kein Videogerät dabei hat. Literatur sollte etwas machen, zu dem die Sprache erforderlich ist und sollte nicht so gemacht sein, dass diese möglichst schnell vergessen werden soll. Man kann Showing, wie Siglinde Geisel dies tut, natürlich als Rätselspiel begreifen, oft dient es aber eher dazu, die Erzählinstanz vergessen zu machen und einen Anschein der Unmittelbarkeit zu produzieren. Und das kann der Film allemal besser: Bestimmte Gesten dauern eine Sekunde, aber um die präzise zu vermitteln, benötigt das Buch schlimmstenfalls eine Erzählzeit, die diese Zeitspanne um ein Mehrfaches übertrifft. Die Forderung könnte also eher lauten: Mache das, was das Medium unersetzlich macht.
    Im Satz: „Das Triviale ist eine Ware, es schielt von der Machart her bereits auf seinen Verkauf.“ vermsichen sich für mich wertende (vulgo ein Vorurteil) und deskriptive Elemente: Die Machart, die auf Verwendbarkeit zielt, ist nicht per se trivial, sondern kommt auch in den Klassikern vor, die aus einer rhetorischen Tradition stammen. (von Vogelweide bis Barock mindestens, von hier gedacht gilt es aber sicher ebenso für Rümkorf und Benn auf die eine oder andere Weise ebenso.) Und auch Proust ist zwar langatmig, aber auch wenn ich hier den gnadenlosen Snob geben muss, Die Welt der Guermantes finde ich z.B. nicht langweilig. Klar kenne ich Langeweile bei Proust, aber ausgerechnet den Band finde ich ganz spannend. Und es ist auch eine Frage, wann man es liest: Bei meiner ersten Lektüre habe ich so bissel auf die Naturbeschreibungen gewartet, bei der zweiten freute ich mich viel mehr auf die Salons. Ich komme also selbst zu verschiedenen Zeiten mit verchiedenen Interessen auf das Buch zu. (Und wenn ich vielleicht ein Problem mit der Liebe hätte, dass in irgendeiner Weise verwandt ist mit Marcels, dann würde ich vielleicht auch die Bände 5 und 6 mehr mögen.) Was ich sagen will: Auch Proust ist nicht das Andere der Allerweltsliteratur, sondern eine Art Harry Potter (oder weil ich dort stecken geblieben bin, sagen wir Jasper Fforde), einfach eine Gegenwelt mit anderen Spielregeln, ein Flucht- oder Traumort, der einen aber im Alltag dann doch wieder nicht unbeeinflusst lässt.
    Auch bei Klassiker hält mich oft soziologische Neugier bei der Stange, z.B. beim Werther bei Fontane usw.
    Guido Grafs Diktum halte ich als Kritiker für richtig, als Verleger fühle ich mich drauf angewiesen, dass es sich nicht so schnell herumspricht.

    Antworten

    1. Lars Hartmann 25. Oktober 2016 um 9:46

      Im Sinne des technischen Fortschritts in Kunst hat die Darstellungsweise in Prosa immer etwas mit den Medien zu tun, die die Literatur umgeben. Sich am Film auszurichten, muß nicht per se etwas Schlechtes sein. Die Frage ist nur, auf welche Weise das geschieht. Nehmen Sie die Texte Kafkas, darin, wie Peter-André Alt zeigte, die Mittel des damaligen Films eine zentrale Rolle spielten. Angefangen mit dem Effekt, den man bei Kafka das Gestische nennt. Im Kontext des Trivialen aber geht es rein um die leichte Konsumierbarkeit: flott erzählt, auf Wiedererkennbarkeit angelegt, mit Schemata arbeitend, ohne diese irgendwie anzukratzen oder weiterzutreiben. Sozusagen Lore-Groschenhefte, nur für die Literatur gemacht, teils das gehobene Bedürfnis bedienend. Wobei man das Triviale natürlich ebenso ausfächern kann: Wie unterhaltsam ist „Der Name der Rose“, verfilmbar ebenso (wenngleich das Buch nicht erfassend). Trotzdem ist das Buch in einem weiten Sinne nicht unbedingt trivial. (Bei der Ware Film liegt das Problem zudem darin, daß sie sich verkaufen muß. Nur die Produktionskosten einzuspielen, reicht bei Produkten wie „Der Name der Rose“ nicht. Das scheint mir in der Literatur weniger dramatisch zu sein.)

      „Vogelweide bis Barock“: das war aber eine andere Epoche. Autonome Kunst, wie wir sie seit dem späten 18, dem frühen 19. Jhd kennen, kam erst auf, als sich ein Markt entwickelte. Insofern ist damit die Warenförmigkeit der Kunst bereits zwangsläufig gegeben. Entscheidendes Kriterium aber auch hier: Ob ein Autor bewußt auf die Lesevorlieben schielt oder nach dem Gesetz schreibt, unter dem er angetreten und das die Konstruktion des Materials gebietet. Das sind zwei Paar Schuhe. Mit dem Argument der Verkaufbarkeit meinte ich in der Literatur der Gegenwart einen bestimmten Stil, eine Art zu schreiben, die marktgängig ist, indem bestimmte Klischees qua Figurenkonstellation und Story bedient werden. Ein typischer Berlinsound, die Verlorenheit einer Mittelstandsgeneration X oder Y, die bis zum Klischee durchexerziert wird – ich nenne jetzt mal keine Namen. Goethe und Schiller planten ihre Theaterstücke nicht danach, wie sie publikumstauglich würden, die waren ja nicht Kotzebue. Wohl aber waren sie auf (erzieherische) Wirkung bedacht und ließen sich insofern aufs Publikum ein. Das ist zur heutigen Produktion von Texten ein Unterschied.

      Natürlich ist „Die Welt der Guermantes“ nicht langweilig, aber geben Sie dieses Buch mal ihrer nichtliteraturaffinen Verwandtschaft in die Hand! Ein soziologisches Interesse ist gerade bei realistisch erzählenden Klassikern wie Balzac durchaus verständlich. Was anderes als Soziologie ist auch die menschliche Komödie? Ein Realismus – alles andere als trivial.

      Die Crux liegt in der Sprache, wie ein Autor sie einsetzt, sowie in der künstlerischen Konstruktion. Obwohl wiederum eine triviale Sprache denkbar ist, die Nichttriviales (be)schreibt. Am Ende wird man den Vorwurf des Trivialen nie pauschal klären können, sondern immer nur in der Analyse und Kritik eines einzelnen Werkes. Deshalb auch etwas wie Page-99. Als heuristisches Mittel.

    2. Dieser Kommentar bezieht sich auf den von Lars Hartmann (25. 9:46), der darunter steht. Ich packe ihn drüber, damit er nicht so weit weg steht, (drunter ginge nur ganz unten)

      Ja klar kann einem ein neues Medium auch Inspiration geben. Ich wende mich nur dagegen, dass man ausschließlich auf filmischen Codes Trittbrett fährt. Und bei Kafka ist es ja klar, dass vieles bei ihm nur in Sprache geht. Die Verfilmung schon des ersten Satzes der Verwandlung würde etwas ergeben, aus dem man den Rest des Erzähldiskurses nicht ohne weiteres folgern kann.
      Ich meinte hier nur die Beschränkung vieler Literatur aus reine „Showing“ allein dieses Mittel griff ich an. Hemingway war seinerzeit ja ein ziemliches Ereignis, weil der Leser noch seine Schweigsamkeit auf anderen Feldern im Gegensatz zu vielen anderen Erzählern spüren konnte. Wer heute, wo es diese Folien nicht mehr gibt, ausschließlich Hemingway und ähnliches liest, dem würde ich nachsagen, er habe nicht viel Ahnung von Literatur.
      Obwohl Inspiration am Film immer möglich ist, sehe ich gleichwohl auch, dass Anverwandlungen des Filmischen nicht immer glücken. Junge Dichter versuchen oft, Cuttechniken des Filmes in ihre Literatur zu bauen. Für sie mag das ein Fortschritt sein, es gelingt aber oft nicht richtig, weil diese Inspiration am Film eben relativ dünne ist, im Bereich der Literatur der Hammer aber vermittels einer langen Tradition von Bild- und Montagetechniken sehr hoch hängt. So ist z.B. versucht worden, Eisensteins Schnitttechniken zu importieren. Man übersieht da, dass Eisenstein diese Techniken benutzt, um z.B. die Metapher (damit ein literarisches Mittel) in den Film zu importieren. Vieles, was uns filmisch vorkommt, ist aus der Literatur entlehnt. Umberto Eco untersucht z.B. die „Kameraeinstellungen“ in Manzonis „Die Verlobten“.
      Ihrer etwas schulischen Epochenteilung kann ich nichts abgewinnen. Sie müssen ja selbst auch noch mehr sagen. Zum Beispiel zu Kotzebue. Man kann ja auch immer so formulieren: Die autonome Kunstkirche war eine Mode des 19. Jahrhunderts, die Autonomie der Kunst aber nie so groß, wie die Anhänger dieser Kirche behaupteten. Man siehts z.B. gut an George, der es am leichtesten haben müsste, weil er auf ein Jahrhundert Tradition und Propaganda aufsetzen konnte.
      Anders gesagt: Zu Goethes Zeiten war es eben Mode in der Literatur zu belehren. Und das tun dann Goethe und Kotzebue, (während sich Jean Paul, Musaeus oder Heine diesem Anspruch nicht in dieser Direktheit stellen. Mode war es vor allem im Theater, der Wilhelm Meister ist partiell anders.) Elisabeth von Recke hat die ethischen Anliegen Kotzebues ebenso ernst genommen wie die Goethes (der ihr nicht so wichtig war). Wenn man erst die Gottesperpektive der Tradition braucht, es mehr um die Meinungen geht, die man von Schriftstellern hegt, als um Textmerkmale, hat man das, worum es ging, nämlich wie sich ein trivialer Text von einem anderen unterscheidet, längst aus den Augen verloren.
      Leitfäden zum Verfassen eines Erfolgsromans merken regelmäßig an (z.B. bei James N Frey oder Sol Stein), dass ein Buch erfolgreicher wird, wenn man ihm irgend einen Satz zugrunde legt, auf den alles hinaus läuft (z.B: Geld macht/ macht nicht glücklich) Jeder Episode soll man auch eine Leitfrage zugrunde legen, die beantwortet wird. Eine Lehre ist von hier gesehen geradezu konstitutiv für das „Triviale“. Ebenso konstitutiv ist es allerdings für die Theorie des klassischen Dramas, der auch Goethes Dramen weitgehend folgen.
      Natürlich stimme ich dem, was Sie über die Ware Film sagen vorbehaltlos zu.
      Natürlich ist triviale Sprache denkbar, die Nichttriviales beschreibt z.B. Vonnegut ist oft ein Meister darin.
      Gerade Proust ist mir in anderer Hinsicht ein spannender Präzedenzfall. Wie viele Leser mit hohem literarischen Anspruch scheitern an der Lektüre. Ich drückte das Buch zum Beispiel aber auch mal einer Vielleserin von Vampirromanen, Harry Potter und Co in die Hand und sie las immerhin (bis jetzt) mehrere Bände. Auch das schiere Viellesen ergibt eine schwer zu beschreibende Lesekompetenz, die man nicht unterschätzen sollte.

  3. Der Satz „Das Triviale ist das Erwartbare“ ist richtig, allerdings zeigt sich das, was das Erwartbare ist, für jeden Leser anders. Wer viel gelesen hat, empfindet einen innovativen, vielschichtigen Text als spannend, während ihn Spannungsliteratur möglicherweise langweilt. Er liest den anspruchsvollen Text nicht naiv, sondern als Kunstkenner, der ein Kribbeln im Nacken verspürt, weil er etwas Ungewöhnliches zu lesen bekommt, das ihn an seine Jugend erinnert, als er zum ersten Mal einen Text von beispielsweise Franz Kafka gelesen hat. Dagegen langweilen ihn Texte, die ihn das Gemachte an ihnen rasch erkennen lassen. Aber Vorsicht: Das Gemachte muss nicht einem schlichten Rezept für Arztromane entnommen sein, es gibt auch anspruchsvollere Rezepte für den feineren Geschmack, mit denen zum Beispiel Buchpreisträger reüssieren. Der Belesene sollte sich allerdings bewusst sein, dass er ein Spezialist ist und der weniger Belesene nicht weniger intelligent oder gebildet sein muss – er ist eben in einem bestimmten Gebiet kein Spezialist. Wenn der Eine einen literarischen Satz als ironisches Zitat liest, den der andere wie einen Satz der Alltagskommunikation liest, ist das auch, aber nicht nur, eine Frage der Leseerfahrung. Der Grundunterschied zwischen Literatur als Kunst und allen anderen, also den meisten literarischen Texten, besteht m. E. darin, dass das Künstlerische an den Texten etwas Uneigentliches ist, ja sein muss, weil die Literatur in ihrem engsten Verständnis ein Mittel der Alltagskommunikation in “reicheres Sprechen” verwandeln will, das nur in einer bestimmten Anordnung von Wörtern und Sätzen erscheinen kann.

    Antworten

    1. @Jürgen Kiel

      Stimme in vielem zu. Allerdings möchte ich die Vorsicht, die gefordert wird unterstreichen: „Wer viel gelesen hat, empfindet einen innovativen, vielschichtigen Text als spannend, während ihn Spannungsliteratur möglicherweise langweilt … Dagegen langweilen ihn Texte, die ihn das Gemachte an ihnen rasch erkennen lassen.“ Es ist ja auch umgekehrt: Der anspruchsvolle Leser, der nur gelegentlich einen Thriller liest, lässt sich vielleicht auch von einer Ereignisfolge hineinschlingen, die der Krimikenner durchschaubar und konventionell findet, weil sein Musterpool größer ist. Auch den Anspruchsvollen Leser hier mit dem Belesenen gleichzusetzen, geht für mich nicht auf. Einmal: Schier von der Menge nicht. Leser von Romanserien haben ja oft ein unglaubliches Pensum! Andererseits gibt es auch viele Anspruchsvolle, die dann eben nicht jeden Tag lesen, weil sie ihre Bücher einer anderen, unabgelenkteren Lektüre für wert befinden. Zweitens bleibt es auch heikel zu behaupten, der anspruchsvolle Belesene kenne mehr literarische Muster. Oft ist das der Fall. Aber was ist denn ein anderes Muster? Es mag ja sein, dass man, sagen wir, von Harry Potter, Shades of Grey und einer Jane Austin Fanfiktion behauptet: Das sei „im Grunde“ immer das gleiche. Aber wenn man das sagt, wird der anders interessierte Antagonist sagen können: „Aber Fontane, Mann und Telkamp sind doch auch im Grunde das Gleiche, was solls?“ Was sagt man denen die sagen: George und Hölderlin sind für mich irgendwie dasselbe. (Kann man durchaus an der Uni so hören, zeigt für mich nicht unmittelbar Unbildung, sondern dass es eben wirklich vielfältige Standpunkte und Interessen gibt.)
      Und es geht ja auch Umgekehrt: Der „Belesene“ sieht etwas als Ironie, was keine ist. Vielleicht ist aber auch mal umgekehrt, er übersieht Ironie, oder der „Unbelesene“ liest wo Ironie hinein? Wer hat denn Recht: Es war so befreiend gemeinsam über Kafka zu lachen, acuh mit Stephan King Lesern gemeinsm. Und das nicht, weil jemand ihm unfreiwillige Komik unterstellte, sondern weil es eben lustig ist. Aber normalerweise versichern einem Belesene, es sei existentiell, man möchte „also“ ernsten. (Als obs ein Widerspruch wäre.) Nich mal das beste Pferd im Stall zieht hier quasi …

    2. @ Jürgen Kiel
      Auf alle Fälle hat Lesen etwas mit Kenntnis und Erfahrung zu tun, und Kenntnis entwickelt sich durch intensive Lektüre unterschiedlicher Bücher. Indem nicht nur viel, sondern auch variierend gelesen wird. So wie der Weinkenner viele Weine probierte und daran seinen Geschmack schulte. So schulte, daß der Geschmack zu einer Instanz wird. Da merkt der Weinkenner irgendwann, daß der „Le Patron“-Wein nicht wirklich gelungen ist.

      Die Unterscheidungen, die ich machte, sollten freilich keine Wertungen im Sinne eines „Besserer Mensch/schlechterer Mensch“ darstellen. Wer Triviales liest, dem will ich nicht seine Lektüre absprechen. Entscheidend ist nur, welche Aussagen über einen Text gemacht werden. Wer Banales zur großen Kunst hochjazzt, muß sich allerdings Kritik gefallen lassen.

      Sich mit Kunst zu beschäftigen, ist ein Privileg, dessen sollte man sich immer bewußt sein. Es fängt damit an, überhaupt Zeit dafür aufbringen zu können.

  4. Zu Hartmut Finkeldey:

    Nun ja, „aus der Tiefe des Volksgemüts“ da hat niemand mehr den Anspruch zu schreiben, aber „das Lebensgefühl einer Generation“ zu darzustellen, das galt mindestens vor ein bis zwei Dekaden als legitimes Anliegen von Literatur. Und selbst da, wo es merkwürdig fremd bis unerträglich war, sollte man zum Beispiel Judith Hermann weiter lesen, das war sozusagen der Witz und ihre gesellschaftliche Relevanz. Man wäre doch ein leicht irrer Spracher (gewesen?), wenn mans als Kitsch einsortierte. (Und wie ists mit anderen Fällen: Schindlers Liste?) Busse und Marlitt sind doch so günstige Beispiele, weil sie uns sowieso fremd sind, ein Kitschbegriff, der nur da gut funktioniert, wo wir uns ohnehin einig sind, und alles andere mit dem Satz „Es gibt natürlich Zweifelsfälle“ abtut, kommt mir nicht besonders erfolgreich dabei vor, sich irgendeines relevanten Umstandes an Texten gemeinsam zu versichern. (Er führt allenfalls ein als überlegen gedachtes Qualitätssensoriom dessen vor, der mit diesen Begriffen hantiert.)

    Antworten

    1. Avatar-Foto
      Hartmut Finkeldey 24. Oktober 2016 um 17:00

      Nun gut, lieber Betram Reinecke, ich nannte ja, pars pro toto, auch ein modernes Genre: Den Serial Killer-Roman. Gerne verweise ich ergänzend auf Käppners heute noch gültige, großartige Analyse aus 2011. Besseres über die völlig verrückt gewordene Krimiszene habe ich bis heute nicht gelesen.
      http://www.sueddeutsche.de/kultur/kriminal-literatur-der-gaertner-wars-1.985071

  5. @Bertram Reinecke
    Ich würde den Belesenen vom Vielleser unterscheiden. Das Ideal wäre der kritische Leser. Den sollte man nicht als Nörgler oder unsinnlichen Leser verstehen, sondern als einen, der zu unterscheiden weiß. Seine Bibliothek ist überschaubar, denn er hat schon viel weggetragen. Sein Ideal ist der Text, der nicht in abstrakten Begriffen aufgeht. Er will nicht als Zielgruppe angesprochen werden, sondern als Individuum. Nun könnte man einwenden, dass kein guter z. B. Roman in abstrakten Begriffen aufgeht, d. h. dass immer ein Rest an Individualität bleibt, der sich Begriffen („Berlin-Roman“, „Realismus“) bzw. Regeln („Perspektive einhalten“; „keine Klischeewörter“) entzieht. Doch häufig ist das Individuelle zwar gewollt, aber zu schwach ausgebildet, um in den Köpfen der Leser jenen Widerstand zu erzeugen, der den Text vor dem Vergessen bewahrt. Bekanntlich ist auch das demonstrative Regelbrechen kein Allheilmittel (vom Kommerz ganz zu schweigen), denn auch dabei gilt es, allesvernichtenden Allgemeinbegriffen („Avantgardismus“, „Experiment“) Widerstand zu leisten.

    Antworten

  6. Je länger ich mich mit dieser Debatte befasse, desto mehr kristallisieren sich zwei grundlegende Frage für mich heraus.

    Erstens: Warum sollte es notwendig und sinnvoll sein, Autoren und Werke in feste Kategorien einzuteilen? Dient das den Lesern oder den Kritikern – und wozu?

    Zweitens: Warum muss man dafür ausgerechnet das Wort “trivial” benutzten, da es doch offensichtlich heute (durch inflationären Gebrauch?) eine andere Bedeutung hat als zu der Zeit, wo das Wissen um das Trivium im Modell der Sieben Freien Künste zum Grundkanon der Allgemeinbildung zählte?

    Wenn ich einige der hier genannten Eigenschaften zusammenfasse, komme ich zu der Schlußfolgerung, dass z.B. die beinahe 300 Kantaten, die J.S. Bach in seiner Leipziger Zeit geschrieben hat, als “trivial” bezeichnet werden könnten. Denn ihre Komposition folgt strengen Regeln, die Themen der Lutherschen Lithurgie und um diese schiere Masse an Werken überhaupt hervorbringen zu können, hat sich Bach massiv bei anderen Werken bedient.

    In seinem Buch “Bach the borrower” hat der britische Musikwissenschaftler Norman Carell die Methodik untersucht, mit der Bach komponierte. Er fand in 225 Werken Bachs Zitate aus seinen früheren Werken und in über 80 Fälle Anleihen bei anderen Komponisten, insbesondere Vivaldi.

    Ebenfalls sind Bachs Kantaten ihrem Wesen nach etwas Erwartbares, wenn auch nicht zum Zweck der kommerziellen Vermarktung. Und langweilig können sie sicher aus werden, vor allem wenn man alle hintereinander hören wollte.

    Trotzdem würden selbst Leute, die keine Klassik mögen, Bach nicht “trivial” nennen. Und er wird immer ästhetischen Ansprüchen gerecht.

    Ich denke daher, dass ein Werk oder auch das Gesamtwerk eines Künstlers in unterschiedlicher Wichtung (wenn man das Wort verwenden möchte) triviale und nicht triviale Komponenten enthalten kann.

    In diesem Sinne ist “Harry Potter” überwiegend einfach gestrickt, Prousts “Recherche” eher komplex.

    Antworten

  7. Zu Finkeldeys Link über Krimis: Aber es gibt doch Schmarrn! Das ist doch offenkundig! … scheint man mir hier zurufen zu wollen. Ja, mag ja sein, ich würde auch sagen, dass ich viele gute Gründe habe, viele Bücher nicht zu lesen. Und der Artikel mag in seinen Beschreibungen einzelner Bücher durchaus recht haben. Er beurteilt den Krimi aber auch von einer ziemlich verengten Perspektive: der des realistischen Kriminalromans. Borges wandte einmal gegen Simenon ein, dass ihm der Kriminalroman immer unlauter vorkäme, weil er ein Rätsel, das kurz ist auf die Länge eines Romans aufbläst und die Leere dann mit Psychologie füllen muss. Chesterton, ja ein Krimiklassiker, der in der verlinkten Untersuchung ebenso wie Bustos Domecq unter den Tisch fällt, geht anders vor: Er verwickelt den Plot weiter. (Ähnlich Calvino „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“. )
    Verlangt nicht gerade ein Krimi in noch stärkerem Maße eine logisch geordnete Handlungswelt, die erst zugerichtet werden muss? Solche Erzählwelten kommen mir per se schon unrealistisch vor. Im Leben sind Menschen nicht immer an der Grenze ihrer Möglichkeiten, Spannung ist darauf angewiesen usw. Realismus im Krimi kann von vornherein nur einer Art Scheinrealismus, eine Art Realismuskonvention zusammengehen, die nicht alternativlos ist. Ganz abgesehen davon, dass das Kriterium Realismus heikel ist, weil wir die Welt nicht kennen. Wer die Snowdenstory (der nebenbei gesagt seine ethische Bildung Graphic Novels verdankt) 2011 in einen Krimi verarbeitet hätte, würde wahrscheinlich von dem Artikelschreiber abgestraft worden sein für seine hahnebüchene Story. (Die Geschichte erinnert ja an den Plot manches Schwedenkrimis.)
    Kann sich der Artikelschreiber denn wirklich auf die von ihm aufgerufene Tradition stützen in seiner Argumentation, oder müssen wir etwas gezielt vergessen haben, um ihm zu folgen: Hammets oder Chandlers Welten kommen mir teils ebenfalls wie feuchte Männerträume vor , wie der Artikel an anderen kritisiert. Doyle und sein schwerfälliger, dauernd fragender Watson, ist alles mögliche, aber sehr realistisch ist er da nicht usw.
    Die Geste des „Früher war alles besser“ beruhigt so schön die eigene Übersichtshaltung, überzeugend ist sie hier nicht.
    Wir erwarten eingeübt in den „wertvollen“ realistischen Roman den Aufbau tiefer Figuren. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Aufbau einer Psychologie einem Krimileser manchmal wie entbehrliche Kniebeuge vorkommt. Er hat das schon tausend Mal gelesen und es ist immer dieselbe Küchenpsychologie. Deswegen kann das kühne Wegschneiden dieser Übung auch ein Fortschritt sein und die Projektion der eigenen Leseerfahrung in die Figurenskizze erfordert dann kreative Leseleistung. Auch in der „Hochliteratur“ gibt es ja den Trend, sich dem Psychologisieren zu entziehen.

    Antworten

  8. Zu Kiels Ideal des Lesers: Ich kann dem Ideal einer mäßig großen Bibliothek wenig abgewinnen. Auch wenn ich die Bevorzugung von intensiver statt extensiver Lektüre nicht unverständlich finde, waren Besitzer größerer Bibliotheken für mich auch oft bessere Gesprächspartner über Bücher. (Es sei denn, sie hatten eben aus anderen Gründen Freude daran, sich ihr Wohnzimmer mit dickleibigen Gesamtausgaben zu pflastern.) Auch wenn ich letztes Jahr sieben Kisten Bücher aus meiner Wohnung getragen habe, fällt es mir doch schwer, mich zu trennen, da ich immer denke: Vielleicht habe ich an dem Buch irgendwann neues Interesse, weil ich mit einem anderen Aspekt darauf zugehe?

    Danke rcscherzy für den Bach!!!

    Antworten

  9. @ rcscherzy
    Die Register der Kunst sind nie fest. Ich kann nur vom Heute aus sprechen, und Kunstwerke sind an Zeit gebunden. Wie in 100 Jahren gedacht wird, wissen wir nicht. Es geht mir nicht darum, das Feld in Schafe und Böcke einzuteilen, sondern es geht um Differenzen, die sich innerhalb der Kunst und zwischen verschiedenen Werken auftun. Insofern dient eine solche Analyse in der Literaturkritik sowohl dem Werk wie auch den möglichen Lesern. Und da zeigt es sich, daß der eine Roman ein Kunstwerk ist und daß der Lore-Roman trivial, weil nach einem Schema gestrickt. Diese Mechanismen kann man in einer detaillierten Lektüre aufzeigen. Und es kann ebenso passieren, daß ein Autor, der zuvor Hervorragendes schrieb, plötzlich etwas macht, wo sich der Kritiker wundert. Bei Brecht ist nicht alles von gleichbleibender Qualität. Und es gibt Passagen bei Rilke, die mögen zwar nicht trivial sein, aber sie spielen ins Kunstgewerbe hinüber.

    Zu Bach kann ich Ihnen nichts sagen, da ich kein Musikästhetiker bin. Um die Qualität dieser Stücke zu benennen, müßte ich das aber sein. Allerdings gibt es gewisse Techniken, die man in der Kunst beherrschen sollte und die zunächst Standard sind. Wer mit hohem Ernst im Ausdruck sagt, er schriebe Sonette und bekommt nicht in einem Gedicht die Sonettform hin, der hat ein Problem. Hingegen kann das Schimpfen auf die Sonettform und wie beschissen Sonette seien, zu einem ganz und gar köstlichen Sonett führen. Da hat einer Lyrik verstanden. Und bereits an dieser Stelle zeigt sich, daß es in einem zweiten Schritt um die Vermittlung von Inhalt und Form geht, anhand dessen sich Triviales vom Gelungenen scheidet. (Mal grob skizziert.)

    Ich wundere mich immer, wie bei vielen Dingen Qualitätskriterien angesetzt werden, wo sie bei der Kunst als verpönt oder zumindest heikel gelten: Vom guten Menü ohne Billigfleisch, über Politiker, insbesondere bei Ärzten, bis hin zum Fußballspiel wird die Qualität der Sache gewürdigt. Sobald aber jemand das Wort „trivial“ im Zusammenhang mit Literatur in den Mund nimmt, kommen Reaktionen als hätte man den Rotwein übers Damasttischtuch gekippt. Ich stelle mal eine Gegenfrage: Wer würde es einem Kritiker durchgehen lassen, der behauptet, Konsaliks „Der Arzt von Stalingrad“ sei ein gut gemachter Roman, weil er flott geschrieben sei, und damit handele es sich um ein Kunstwerk? Eine ähnliche Debatte gab es im Feuilleton in den 80er Jahren über einen neuen Roman von Johannes Mario Simmel. Wie ich in diesem Falle urteilte, kann man ja mal erraten.

    Antworten

  10. Nun, wenn sie die Küche anführen, was macht es Ihnen so schwer einzuräumen, dass Großes auch nach Rezept entstehen kann? Der Spitzenkoch kocht schließlich auch nach Karte.
    Wenn wir uns über gutes Essen unterhalten, räumen wir in der Regel ein, dass nicht so erlesenes Essen ebenfalls wohltuen und sättigen kann. (Wir reden über guten Kaffee und freuen uns daran, weil wir oft auch schlechten trinken, nur insofern können wirs eigentlich.) Wir würden jeden als Snob verurteilen, der das nicht einräumt. Bei der Literatur scheinen ja einige zwischen das “Gute” und das “Schlechte” einerseits und zwischen sich und das Schlechte andererseits möglichst viel Abstand bringen zu wollen. (Wie kennt man dann das Gute noch?) Ich zumindest komme von dem Verdacht nicht los, allein darum wird der Unterschied oftmals für so bedeutsam erklärt.

    Antworten

    1. Avatar-Foto
      Hartmut Finkeldey 26. Oktober 2016 um 20:56

      Hmm, also gegen das Argument des Snobismus ist eigentlich kein Anreden mehr. Deswegen finde ich die Unterstellung, es ginge nur darum, Distinktionsgewinne abzusichern und abzufeiern, so unproduktiv. Eigentlich habe ich dies Argument schon in meinem Beitrag widerlegt: Es wird nämlöich niemand daran gehindert, Goethe, Tolstoi, Kafka zu lesen. (Es wird auch niemand daran gehindert, Samuel und Simon Beckett zu lesen und hinterher einen essay zu schreiben, warum Simon denn nun soviel besser sei…) Die Klassiker gibt es auf http://www.zeno.org zB sogar für lau. Warum dennoch dieses verbissene Beharren darauf, literarisches Urteilen sei Snobismus?

  11. Weil die Küche nun Thema ist: Es gibt Bratwurst und Rehrücken und beides kann der Koch verderben. Der ambitioniert veranschlagte Roman mit 27 inneren Monologen (der Rehrücken) kann also ebenso scheitern wie der im wahrsten Sinn des Wortes verballerte Krimi (die Bratwurst). Das Scheitern ist dasselbe, nicht aber der Anspruch oder das ästhetische Konzept.
    Zurück in die Küche auf das Niveau des Küchentisches: Auch ich mag eine vernünftig zubereitete Bratwurst und ärgere mich, wenn sie mißlingt. Ich nenne sie aber nicht Rehrücken, ob sie mir nun schmeckt oder nicht.
    Vor allem aber nenne ich auch niemanden einen Snob, der eine Bratwurst Bratwurst nennt und einen Rehrücken eben Rehrücken. Was hindert einen daran, gut gemachtes Kunsthandwerk als eben solches anzuerkennen. Snobs nenne ich die, die das gut gemachte Kunsthandwerk (das meine Achtung als solches immer hat) zur Avantgarde umlügen.

    Antworten

  12. @Hartmut Finkeldey: Entschuldigung, Sie hatten Ihr eigenes Argument (nennen wir mal den Gemeinplatz, dass jeder lesen kann was er will) durch die Beibringung eines Artikels aus der Süddeutschen unterminiert, der mir nun in der Tat snobistisch vorkam. Dazu, dass meine Beobachtungen unrichtig seien, steht Ihr Argument noch aus. Ich weiß nicht, warum Sie mich hier so angehen.

    @Herwig Finkeldey: Fällt Ihnen auf, dass Sie sich mit ihrem Argument in direkten Gegensatz zu Lars Hartmanns Post begeben. Der hatte das Sonett als Beispiel für die Form gegeben. Wenn das eine Form ist, wären es in seiner Argumentation vielleicht auch der Whodunit-Plotbau oder die Darbietung im inneren Monolog. Bei Ihnen ist es im gegenteil aber der Stoff.

    Ihnen könnte an diesem Umstand auffallen, dass die Essenanalogie an diesem Punkt den Blick auf Phänomene der Literatur eher verstellt als verbessert (etwa wie Réaumur oder Descartes mit ihren Theorien der Löslichkeit scheiterten, weil sie sich Löslichkeit notorisch am Bild des Schwammes vorstellten). Beim Kochen ist der Witz, dass man die Rohstoffe vor der Verarbeitung einzeln zur Untersuchung zur Verfügung hat. Was aber wären die einzelnen Rohstoffe der Literatur? Plots z.B. eben bereits Stoff wie Form zugleich, dasgleiche gilt für Themen oder Motive, weswegen Vonnegut un Heller ihre Antikriegsbücher eben anders aufbauten, ebenso wie etwa Wanda und Amis ihre Holocaustliteratur. Auch die Gefühle im Kopf und Schreibbegehren können es kaum sein. Erstens kommt man so schlecht da ran, zweitens könnten diese Innerungen sich leicht als vorversprachlicht erweisen.

    Ich überlege noch, wen sie hier der Unlauterkeit bezichtigen, etwas zur Avantgarde umzulügen? Diejenigen die hier einerseits darauf pochen, dass jede unbedingt Kunst etwas neu machen muss (und auch genau wissen, was das ist) oder mich, der wie die anderen Diskutanten das Wort Avantgarde auch nicht positiv benutzte. (Ich halte es da mit Jürgen Kiel, der schrieb: “auch dabei gilt es, allesvernichtenden Allgemeinbegriffen ‘Avantgardismus’, ‘Experiment’ Widerstand zu leisten” Den Vorwurf des Snobismus hatte ich Ihnen ja bereits oben geschenkt). Aber vielleicht meinten Sie ja doch meinen (wohlgemerkt kann-) Satz: “Deswegen kann das kühne Wegschneiden dieser Übung auch ein Fortschritt sein und die Projektion der eigenen Leseerfahrung in die Figurenskizze erfordert dann kreative Leseleistung.”? Folgende Sicht jedenfalls hielte ich für schädlich für ein entdeckendes selbstüberschreitendes Lesen: Wenn man die Schulweisheit beibehielte, dass jeder große Künstler in jeder großen Kunst etwas neu machen muss, aber jede Neuerung, auf die man stößt oder hingewiesen wird, die einem nicht in den Kopf will, als Pseudoavantgardismus verunglimpfte. Wir sollten einfach öfter sagen: Wir wissen es nicht und abwarten oder zweimal hinschauen. Wir können uns das nicht ersparen, wenn wir den Anspruch haben, dass unser Lesen nicht im konservativen Stoff versande. Wir sind da, glaube ich, ohnehinedies schon heute und niemals klüger als, sagen wir, der schätzenswerte Nicolai, der eben Goethe ablehnte, aber dennoch ein versierter Leser war.

    Antworten

    1. Rehrücken und Bratwurst sind der Stoff oder besser noch das Genre, der/das über die Form der Zubereitung entweder gehoben oder zerstört werden kann. Bezichtigt habe ich in meinem launigen, nicht ganz ernst gemeinten Beitrag niemanden. Aber ich verstehe schon: Kunst ist ein Spiel, das ernst zu spielen ist. Wer da Spässe macht, ist schnell ein Spaßverderber. Na dann.

  13. Lars Hartmann 27. Oktober 2016 um 9:24

    @ B. Reinicke: Es ging mir beim Verweis aufs Essen nicht um die Rezepte-Küche, die dann auf die Kunst übertragen wird: man müsse nach Rezepten schreiben. Sondern meine Aussage war, daß in allen möglichen Bereichen über die Qualität einer Sache geurteilt wird, nur bei der Kunst herrscht ein postmodernes Anything Goes, und der Slogan „Hauptsache mir gefällt’s!“ geht bereits als Qualitätskriterium durch. Bei mir nicht. Ich habe nichts gegen das Gefallen und auch nichts gegen das in meinen Ohren zwar etwas schräg klingende Wort „Kunstgenuß“, nur sollte man ein Rosenbeet nicht eine Distelwiese und eine Distelwiese nicht ein Rosenbeet nennen. Ich zwinge niemanden, den Unterschied zwischen „Der Arzt von Stalingrad“ und Günter Grassʼ „Die Blechtrommel“ wahrzunehmen. Wer aber mit dem Anspruch auftritt, beides gelte im Bezirk der Kunst doch gleichviel, dem widerspreche ich. Ich bin da gerne Snob und möchte Oskar Wilde ins Feld der Literatur erweitern: „Geben Sie Luxus, auf das Notwendigste kann ich verzichten!“

    Ansonsten stimme ich Herwig Finkeldey mit seinem Beitrag vom 26. Oktober 2016 um 23:50 zu, der zeigt, daß wir seit der Kunst des 18. Jhds weit über die Horazschen oder Boileauschen Regelpoetiken hinaus sind. Die Querelle des Anciens et des Modernes dürften ausgefochten sein. Ebenso sind wir über krude Form/Inhalt-Debatten hinweg und auch der Expressionismus-Streit ist durch. Georg Lukács hielt das Ergebnis nach seiner Verhaftung durch die eigenen Genossen fest: „Kafka war doch Realist!“

    Das, was wir hier allgemein und ins Blaue hinein schreiben, kann man freilich nur an konkreten Werken festmachen und nicht abstrakt. Dafür dient bei tell z.B. als heuristisches Mittel der Page-99-Test. Er vermittelt einen ersten Blick, der sich dann in der Literaturkritik als berechtigt oder unberechtigt herausstellt. Diese Fragen lassen sich nur am Detail beantworten. Literaturkritik ist seit dem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ im 18./19. Jahrhundert genau dieser Diskurs einer Leserschaft, der darüber debattiert, was ästhetisch mißlungen, was ganz ok ist und was zum Vorzüglichen gehört, und zwar nicht nur aus subjektiven Präferenzen und aus Daffke heraus. tell will für solche Debatten eine Art Salon sein und an jene Tradition der literarischen Gespräche anknüpfen. Dabei wird es nicht ausbleiben Triviales vom Gelungenen, Kitsch von Kunst zu scheiden. Genauso wird es Werke geben, wo die Grenzen fließend sind.

    Antworten

  14. @ Hartmann, (@ Hartmut Finkelday): Dass Sie Herr Hartmann sich Herrn Finkelday nahe fühlen, erleichtert mir das Argumentieren erheblich. Herr Finkelday hatte behauptet, dass das Problem des Kitsches mit der Theorie von Killy gelöst sei. Ich war von vornherein der Meinung, dass wir eine gute Theorie des Trivialen bisher nicht haben. Ich teile die Ansicht, dass das ein Mangel an Theoriebildung ist und feiere das nicht.
    Um seine These, dass das Problem des Trivialen (zusammen mit dem Streit Querelle des Anciens et des Modernes) gelöst sei zu belegen, hat Herr Finkelday einen Essay zum Thema Kriminalliteratur beigebracht.
    Die Argumentation Käppners (dieses Beleges) passt aber schlecht zu der Argumentation Killys: Während letzterer versucht, positive Regeln des Trivialen festzustellen (der lauterste Weg, einte Theorie des Trivialen zu bauen) beschreibt Käppner das Triviale hier eher als einen Abfall von den Regeln guter Kunst. (Er beteuert ja, dass der Krimi längst Kunst ist.) Man könnte natürlich versuchen nachzuweisen, dass alle die von den Krimiklassikern Doyle, Hammet, Simenon, Chandler abgewichen sind, dass in der von Killy beschriebenen Weise tun müssten. (Dazu müsste man vorher den Nachweis führen, dass jene Krimiklassiker nicht ebenfalls teils Killys Merkmale des Trivialen von Killy teils aufweisen.) Deshalb wies ich darauf hin, dass dies für etwa für Borges und Chesterton nicht gilt. Eine Theorie sollte nicht selbstwidersprüchlich sein. Die große Vereinigungstheorie aus Käppner und Killy ist es definitiv. Es ist keine Theorie, sondern ein artikuliertes Gefühl. In einen so krassen Widerspruch wie Hartmut Finkeldey (und offenbar auch sie ein bisschen) verstrickt man sich nur, wenn einem eine Wertbindung (hier das Gefühl, dass das Problem des Trivialen gelöst sein SOLLTE), die Sicht verstellt. (Der Literaturkritiker Gaston Bachelard untersucht in seinem Buch “Die Bildung des wissenschaftlichen Geistes” genau solche Übersprunge an den Theorien der frühen Naturwissenschaft, wir sind bei einer Theorie des Trivialen in derselben Lage wie diese Wissenschaftler: Bei den Prolegomena.) Nun ist es doch etwas unhöflich, dass Sie, bloß, weil ich darauf hinweise, dass Sie die Theorie, die Sie zu haben vorgeben, nicht haben, mich gleich geistiger Untugenden wie Postmoderner Beliebigkeit bezichtigen.
    Sie tun noch etwas zweites und daraus erwächst Ihnen ein Hauch der Plausibilität: Sie geben Fallbeispiele des Trivialen. Sie explizieren damit aber nicht irgendeine Theorie, sondern erweisen ihre Bildung. Über so etwas verfüge ich auch: Ich weiß natürlich, dass der „Arzt von Stalingrad“ oder „So weit die Füße tragen“ usw. als triviale Bücher gelten. Da müsste ich in die beiden Bücher noch nicht einmal hineingeschaut haben. (Ich habe es immerhin aber zumindest getan und finde beide Bücher zumindest nicht sehr geschmackvoll.) Was als was für ein Buch gilt, ist aber großteils vor allem auch ein soziologisches Problem. Sie werden und wollen der Frage, was gute Kunst ist, ja gerade nicht mit der Soziologie beikommen wollen? ( Genau daran hatten Sie doch kein Interesse, auch Sie behaupteten doch, ästhetische Maßstäbe zu fordern.) Wenn ich hier in die Ecke dessen gedrängt werde, der das Triviale an sich verteidigt (bloß weil ich darauf verweise, wir hätten wenig gute Theorie darüber), werde ich natürlich hier und da mit meiner Belesenheit prunken. Sonst sähe es eben schnell so aus, als wäre MEIN Problem einfach eines mangelnder Bildung. Um Ihnen nicht immer Beispiele aus dem 18. Jahrhundert zu bringen, mal eines aus der Zeit, die Sie soziologisch bevorzugen: Der Fall George Forestier hat besonders drastisch gezeigt, dass man sich auf die vagen Einordnungen eines Buches in den Bildungskanon nicht verlassen kann.
    Es ist also auf der Ebene der Textbeschreibung hier noch nicht angekommen, das räumen sie ja auch endlich ein (ein Kompliment auch von meiner Seite für die Bemühungen von Tell) , sondern bewegen sich im Raum der ansozialisierten Bildungsgüter und betonen sozusagen: Das kann doch nicht alles falsch sein. Alles nicht, vieles aber wahrscheinlich doch. Ich merke es ja oft, wenn ich von Lesern, die „verrufene“ oder unbekannte Bücher ernstlich lesen eines Besseren belehrt werde. So viel Loyalität für intelligente und belesene Mitmenschen muss bei aller Achtung vor Tradition drin sein.

    Antworten

  15. Ich finde die Unterscheidung zwischen Kunst und Kunsthandwerk recht zielführend.

    Ein Hufschmied ist ein Handwerker.
    Ein Goldschmied ist ein Kunsthandwerker, aber noch kein Künstler.
    Die Schmiede der Tuareg stellen in erster Linie alle möglichen Gebrauchsgegenstände her. Haben sie dann freie Zeit, beschäftigen sie sich mit der Herstellung von traditionellem Silberschmuck,z.B. Kreuz von Agadez. Hier gibt es eine bestimmte Palette von Standardformen und -mustern, die verwendet werden. Es entsteht aber darüber hinaus nie etwas, das neue Ansichten, neue Perspektiven, neue Interpretationen erlaubt.

    Kunst wäre, die traditionellen Formen und Methoden des Kunsthandwerks zu nutzen, um etwas Neuartiges herzustellen,z.B. das Porträt eines Menschen, das aus handgeschriebenen Kreuzen von Agadez besteht. Das bietet dann vielfältige neue Betrachtungsweise und Interpretationsmöglichkeiten.

    Wir können uns auch die Fotografie als Beispiel nehmen. Sicher kann man Selfies verwenden, um Kunst herzustellen. Aber nicht jedes Selfie ist Kunst.

    Ein gelungenes Bild ist Handwerk, abhängig von Zweck oder Motiv vielleicht Kunsthandwerk (z.B. Landschaftsfoto als Zimmerschmuck). Fotografische Kunst aber sind z.B. die Collagen von Anett Stuth, die Einzelfotos handwerklich geschickt in einen neuen Kontext setzt.

    Kochkunst ist m.E. nicht die Frage, ob Bratwurst oder Rehrücken, denn die Zubereitung ist hier wie da Handwerk. Kochkunst geht über die Zubereitung des Essens hinaus, umfasst die Komposition von Gerichten und Menüs nach geschmacklichen, optischen, vielleicht sogar olfaktorischen Aspekten. Ein Sternekoch hat mich mal überrascht, indem er gedünsteten Fisch mit einer Scheibe deftiger Blutwurst garnierte, dann noch das ganze Drumherum und der richtige Wein. Das ware eine außergewöhnlicher, neuer Geschmack, nach meinem Empfinden: Kochkunst.

    Antworten

  16. Ja, ich vermute, dass jede mögliche einigermaßen adäquate Theorie des Trivialen, (oder der Scheidung von Kunst und Handwerk) so komplex ist, dass sie kaum leicht anwendbar wäre. Das hält meinen Ehrgeiz in Grenzen, an so etwas zu feilen.
    An einer anderen Stelle käme es mir sinnvoller vor: Ein Künstler sollte ein Sensorium dafür haben, welche Effekte leicht zu erzielen sind und welche nicht so einfach herzustellen sind, um jederzeit etwas möglichst Interessantes zu machen und nicht einer unauthentischen Wiederholbarkeit zu verfallen. Er ist hier aber auf viel weniger angewiesen: Er brauch,t zugespitzt gesprochen, eine Theorie, die nur für den einen Kontext an dem er gerade arbeitet ein zutreffendes Ergebnis liefert. Die restliche Kunst mag seine Intuition noch so schief beschreiben. (Natürlich zugespitzt: eine solche Idee wird immer auch auf gewusste Muster zurückgreifen, und etwas daran richtig greifen müssen.)

    Ich versuche gerade, Ihren Gedanken zur Kochkunst zurückzuspinnen: Wenn das Drumherum wichtig ist: Kommt es dann nicht nur auf den Text an, sondern auch darauf, dass kluge Leute den Text schon mit dem Verbunden haben, was uns gemeinsam wichtig ist? Dass ein Diskurs existiert? Wäre es damit ein Unterschied, ob man als Tourist eine Schwarte aus dem Regal des Ferienzimmers zieht, oder ob man vom Germanistikseminar auf den großen französischen Klassiker des psychologischen Kriminalromans verwiesen wurde? Klar ist: man liest es dann anders … Klar sowieso: Man macht texte laufend für ihre Kontexte haftbar. (Lutherlektüren)

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Jürgen Kiel Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert