Kleists Briefwechsel mit einer Dame

Die Briefe befinden sich in einer Schatulle, die Schatulle befindet sich in einem Schloss, das Schloss befindet sich in einem Märchen, und das Märchen befindet sich in ihrem Kopf. Sie könnte über das Märchen schreiben, in einem Briefroman vielleicht, aber dafür reicht ihre Lebenszeit nicht mehr aus.

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Elisabeth Baronin von Heyking, geborene Gräfin von Flemming, Bestsellerautorin und Enkelin des Dichterpaars von Arnim, stirbt am 4. Januar 1925 auf Schloss Crossen im östlichen Thüringen. In dem herrschaftlichen Anwesen auf dem Bergsporn hoch über der Weißen Elster bleibt kurz darauf die Zeit stehen. Verkauft das barocke Mobiliar, die chinesischen Seidentapeten, die ornamentalen Öfen, verfallen der zweistöckige Festsaal, die kostbaren Stuckdecken, die fantasievolle Illusionsmalerei des italienischen Meisters Giovanni Francesco Marchini, die die prunkvolle Architektur einst optisch verdoppelte, vervielfachte, ins Märchenhafte überführte.

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Was ist ein Schloss? Schauplatz von Spekulationen in doppeltem Wortsinn? Schloss Crossen, in seiner wechselhaften Geschichte mehrfach zweckentfremdet und 2007 versteigert für ein Spielgeld von 205.000 Euro, verwittert, verkommt, verfällt. Man stelle sich vor: Nicht das Gebäude interessierte die irischen Erwerber sondern eine Schatulle mit Briefen, die dort gefunden worden ist. Mit enormem Gewinn verkaufen sie „Kleists Briefwechsel mit einer Dame“, der zahlreiche Notizen und Kommentare der Erfolgsschriftstellerin E. v. H. enthält, an einen privaten Sammler. Dessen Erben wollen nun die Echtheit der Briefsammlung überprüfen lassen, in der sich kein einziges von Kleist verfasstes Schreiben befindet. Es scheint, als stammte das gesamte Konvolut  aus der Hand einer Autorin, die mal mit „Bettine Brentano“, mal mit „Bettina Brentano“ unterzeichnet hat.

Berliner Abendblätter

Die Briefe offenbaren Überraschendes: Zwischen Oktober 1810 und März 1811 gab Heinrich von Kleist die Berliner Abendblätter heraus, für die er nicht nur bekannte Schriftsteller gewinnen konnte wie Achim von Arnim, Clemens Brentano, Wilhelm Grimm, Friedrich de la Motte Fouqué, Adam Müller, Friedrich Schleiermacher und Karl August Varnhagen von Ense, sondern auch eine junge Dame von Stand, die doch erst mehr als zwanzig Jahre später, nach dem Tod ihres Dichtergemahls, als Autorin hervortreten sollte.

Der Fund legt nahe, dass Elisabeth Catharina Ludovica Magdalena Brentano kurz vor ihrer Ehe mit Achim von Arnim, dem kongenialen Dichterfreund ihres Bruders Clemens, regelmäßig eine causerie littéraire unter dem Titel „B=Lectüren“ in den „Berliner Abendblättern“ publizieren wollte, in der es um den romantischen Brief gehen sollte, dem wichtigsten Genre der Zeit. Das war bisher unbekannt. Bekannt war hingegen, dass H. v. K. als Herausgeber und einziger Redakteur der feinen, nur vier Seiten umfassenden Tageszeitung die Texte anderer radikal redigierte. Immer wieder warfen ihm seine berühmten Mitarbeiter vor, er entstelle ihre Schriften und ließe keinen anderen Stil zu als den eigenen, was nur im Falle von „Räthseln“ und „Polizeilichen Tages=Mittheilungen“ akzeptabel sei.

Auch B. B. differenziert in ihren Briefen an H. v. K. zwischen Nachrichtenjournalismus und literarischen Kleinformen des Feuilletons. Meldungen wie „Auf dem Markte ist einem fremden Müller eine abgenutzte Metze zerschlagen und eine ungestempelte nach Erlegung von 2 Rthlr. Strafe konfiszirt“ sollten möglichst je eine Information pro Halbsatz aufweisen, nicht mehr als zehn Zeilen pro Absatz enthalten und von hinten zu kürzen sein. Die 25-Jährige beschreibt in ihrem Brief ein noch heute gültiges Regelwerk der Presse – Hit the main story up! – und merkt dazu kritisch an, H. v. K. unterwerfe allerdings sowohl den Polizeibericht als auch den namentlich gekennzeichneten Autorenbeitrag seinem Personalstil.

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„Der Aufsatz Hrn. L. A. v. A. und Hrn. C. B. über Hrn. Friedrichs Seelandschaft (S. 12te Blatt.) war ursprünglich dramatisch abgefaßt,“ gibt der Urvater aller literarischen Blogger im 19. Blatt des Jahres 1810 unumwunden zu, „der Raum dieser Blätter erforderte aber eine Abkürzung, zu welcher Freiheit ich von Hrn. A. v. A. freundschaftlich berechtigt war. Gleichwohl hat dieser Aufsatz dadurch, daß er nunmehr ein bestimmtes Urtheil ausspricht, seinen Charakter dergestalt verändert, daß ich, zur Steuer der Wahrheit… erklären muß: nur der Buchstabe desselben gehört den genannten beiden Hrn.; der Geist aber, und die Verantwortlichkeit dafür, so wie er jetzt abgefaßt ist, mir. H. v. K.“
Als Autorin der „Berliner Abendblätter“ ergehe es ihr wie einem „Kinde“, dem man keine „Eigenthümlichkeit“ zugestehe, schreibt B. B. entsprechend in einem Brief vom 1. Dezember 1810. Warum sie nicht „gratiös“ spielen dürfe wie eine Puppe in einem Marionettentheater, fragt sie in demselben Schreiben, in dem sie ausführlich aus verschiedenen Antwortbriefen H. v. K.s zitiert, die fiktiv sein mögen oder nicht. Sie übe sich oft im Gespräch mit dem Bruder Clemens in „die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ ein, schreibt sie weiter, wohingegen H. v. K. sich offenbar in „die allmähliche Verfälschung der Schriften beim Redigieren“ versteige, so wenig stimmten die von ihr verfassten Causerien mit den Ergebnissen seiner Redaktion überein. Sie ziehe daher ihre Aufsätze ausnahmslos zurück. Ein Literaturredakteur, erklärt B. B. abschließend, sollte die Beiträge seiner Autoren in ihrer „Stileigenthümlichkeit“ würdigen und sie, „falls nöthig“, verbessern anstatt sie „zu ihrem Nachtheil“ umzuformen. Die „große Kunst“ des Redigierens werde jedoch zu selten gelehrt, und es sei nicht abzusehen, dass sich daran in naher oder ferner Zukunft etwas ändere. Die Verfremdung ihrer Schriften habe am Ende dazu geführt, dass sie nicht einmal mehr genau wisse, ob sie nun „Bettine“ oder „Bettina“ sei.

Sollte die Echtheit dieses Autographen bestätigt werden, wäre allein die Information, dass H. v. K.s Redaktion bei B. B. eine Identitätskrise auslöste, die sie als Autorin um rund zwei Jahrzehnte zurückgeworfen hat, eine kleine Sensation. Zudem würde die „große Kunst“ des Redigierens in unserer Zeit, in der alle alles im Internet publizieren können, damit vielleicht ein wenig mehr Aufmerksamkeit erhalten.


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Von Elke Heinemann

Lebt als Schriftstellerin und Publizistin in Berlin.

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