11. Februar 1963. Die Dichterin Sylvia Plath geht frühmorgens in die Küche, dichtet alle Ritzen mit Handtüchern ab, dreht den Gashahn auf und steckt ihren Kopf in den Backofen. Kurz zuvor hatte sie Milch und einen Teller mit Butterbroten neben die Bettchen ihrer beiden Kinder gestellt, die Tür des Kinderzimmers abgedichtet und das Fenster geöffnet.

So endet das Leben einer der größten Dichterinnen des zwanzigsten Jahrhunderts, und gleichzeitig beginnt der Mythos um ihr Leben und ihre Ehe mit dem Dichter und Schriftsteller Ted Hughes. Plath wird zu einer Ikone des Feminismus, zu einem Symbol für das Leiden von Frauen, die sich als perfekte Haushälterinnen für ihre untreuen Männer aufopfern. Als sie Selbstmord begeht, ist Sylvia Plath dreißig Jahre alt, seit sechs Jahren ist sie mit Hughes verheiratet. Kurz vor ihrem Tod hatte sie herausgefunden, dass ihr Mann sie betrogen hatte, woraufhin sie ihn verließ. Es gibt noch andere Dinge, die man wissen muss, um den Mythos zu verstehen: Ted Hughes hat das letzte Tagebuch von Sylvia Plath vernichtet, und sechs Jahre nach Plath brachte sich auch Hughes‘ Geliebte Assia Wevill um, auf die gleiche Weise, und sie nahm die vierjährige gemeinsame Tochter mit in den Tod.

Der Monolog eines Mannes

Es gibt bereits mehrere Plath-Biografien, in denen der Gatte als Verräter und Mörder abgestempelt wird. In ihrem Roman Du sagst es verleiht nun die niederländische Autorin Connie Palmen Ted Hughes eine Stimme. Sie erzählt diese traurige Liebesgeschichte aus der Sicht des Mannes.

Im Roman wird Assias Selbstmord als Nachahmung und, mit der Ermordung der Tochter, als Vollendung des Selbstmords von Sylvia dargestellt. Einen Selbstmord zu erklären, ist schon schwer genug, einen Grund für zwei Selbstmorde zu liefern, ist ein äußerst gewagtes Unterfangen. Doch genau das lässt Connie Palmen ihren Protagonisten 275 Seiten lang tun. „Wer Selbstmord begeht, will immer zwei töten“, verkündet dieser Ted Hughes am Ende des Romans mit den Worten Arthur Millers.

Du sagst es besteht aus dem Monolog eines Mannes, der sich in eine Frau verliebt hat, um kurz darauf zu entdecken, dass diese nicht so war, wie er sie sich vorgestellt hatte:

Hinter einer Fassade umwerfender Fröhlichkeit verbarg sich ein scheuer Hase mit einer Seele aus Glas, ein Kind voller Ängste, voll alptraumhafter Bilder von Amputationen, Eingesperrtsein, Stromstößen.

Die Stromstöße hatte Sylvia Plath am eigenen Leib erfahren: Mit 21 Jahren war sie nach ihrem ersten Selbstmordversuch mit Elektroschocktherapie behandelt worden. Als sich die Amerikanerin Sylvia und der Engländer Ted kennenlernen, ist sie 23 und er 25. Ein junges, schönes Liebespaar. Doch die Adjektive, mit denen Ted im Roman Sylvia beim ersten Zusammentreffen beschreibt, verraten die Ungleichheit zwischen beiden. Sie ist das Raubtier und er das Opfer:

Ein Perlmutterlachen, Zähne so weiß wie die eines Hais, zwischen blutrot geschminkten, wulstigen Lippen blitzend.

Ihr Kleid ist „rot und schwarz, die Farben des Skorpions“. Von außen Skorpion und Hai, im Inneren Hase? Dieser Beschreibung folgen weitere Tier-Vergleiche, mal sind es ihre „affenartig langen Arme“, mal „hockte sie wie ein geprügelter Hund auf dem Fußboden“, mal opfert sie sich wie „ein Lamm auf dem Altar der Liebe“, mal ist sie der „Fuchs“, der ihn beißt.

Glasglocke als Gefängnis

Schon auf den ersten Seiten des Buches wird deutlich, worum es geht:

Ich glaube an so etwas wie ein echtes Selbst, und ich weiß, wie selten es ist, so ein Selbst sprechen zu hören, zu sehen… Je gefährlicher das echte Selbst, desto raffinierter die Masken. Je ätzender das Gift, das wir am liebsten über andere ausspeien würden – um sie zu lähmen, zu töten -, desto süßer der Nektar, mit dem wir sie locken, zu uns zu kommen, in unserer Nähe zu sein, uns zu lieben.

Sie war ein süß duftendes Gefäß voll Venenum.

Die Autorin, die sich Hughes‘ Stimme bedient, will offensichtlich die Legende Sylvia Plath vom Sockel stürzen und ein neues Bild der Dichterin zeichnen. Konsequenterweise wird Plath im Roman vom monologisierenden Hughes als misogyne, verwirrte, neidische, eifersüchtige Frau dargestellt, die sich am Ende „in der Rolle der Märtyrerin eingerichtet hat“, während der Ich-Erzähler selbst nur ein Mann ist, der „allmählich, ohne es zu merken, unter ihre Glasglocke geraten war“ und sich „sich selbst entfremdet hat“. Er zitiert den einzigen Roman von Sylvia Plath: Die Glasglocke war vier Wochen vor ihrem Freitod in England unter Pseudonym erschienen. Plath verarbeitet in diesem Buch ihren ersten Suizidversuch im Jahre 1953. Die Glasglocke steht für die Depression, die die Protagonistin von der Welt trennt. In Connie Palmens Roman jedoch wird die Glasglocke zum Gefängnis, in dem Sylvia ihren Mann einsperrt. Als Romanfigur erhebt Hughes Anklage gegen seine Gattin und all die Frauen, die ihr nach seiner Untreue beigestanden hatten.

Sie wedelte mit den transatlantischen Briefen, die sie von ihrer Mutter, ihrer Psychiaterin, ihrer Gönnerin erhalten hatte, zitierte die hasserfüllten Ratschläge der kreischenden Furien – Befreie dich von ihm! Dreh ihm den Geldhahn zu! Verwehre ihm dein Bett! – und sagte, dass sie die Scheidung wolle.

Mal Furie, mal Hase

Im fiktiven Monolog ihres Mannes erscheint Sylvia Plath als eine Frau zwischen Hysterie und Depression, Euphorie und Wut – ihr „versteinerter“ Blick kehrt als Motiv im Roman immer wieder. Es ist bekannt, dass sie an einer bipolaren Störung litt. 1958 hatte Sylvia Plath in ihrem Tagebuch geschrieben, ihr Leben werde

auf magische Weise von zwei elektrischen Strömen geführt, freudig-positiv der eine, verzweifelnd negativ der andere  – und derjenige, der gerade die Oberhand hat, dominiert mein Leben völlig.

Im Roman behandelt Ted Hughes seine Frau mit Hypnose, er versucht sie damit zu beruhigen. Sie aber sucht heimlich Hilfe bei der Psychiaterin, die sie nach ihrem Selbstmordversuch in Massachusetts in der Nervenklinik behandelt hatte. Wieder zurück in England, wird auch die Psychotherapie abgebrochen, das Ende ist bekannt.

Der Erzähler Ted Hughes scheint unfähig zu sein, Sylvia Plath als leidenden Menschen zu akzeptieren. Stattdessen beschreibt er sie mal als Furie, mal als Hasen. „Du sagst es“ – das ist der Satz, mit dem Jesus Judas als seinen Verräter benennt. Im Roman ist es Hughes, der verraten wurde. Mit seinem Monolog will Connie Palmen die Wahrheit über ihn und Sylvia Plath wiederherstellen. Leider produziert der Roman nur eine weitere Legende: die vom Opfer Ted Hughes.

Angaben zum Buch
Connie Palmen
Du sagst es
Roman
Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers
Diogenes Verlag 2016 • 288 Seiten • 22,00 Euro
ISBN: 978-3257069747
Bei Amazon oder buecher.de
Bildnachweis:
Coverbild: Diogenes Verlag
Beitragsbild: Pexels.com
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Von Agnese Franceschini

Deutsch-italienische Journalistin und Autorin, u.a. für den WDR.

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