Dieter Zwicky: Dialektale Onkelhaftigkeit

Was Personenkult angeht, kann letztlich nur Dieter Zwicky (geb. 1957) Stefanie Sargnagel das Wasser reichen. Sein Porträt beginnt mit einem nervösen Countdown-Zähler, gerade so, als spränge uns im nächsten Augenblick wasserstoffblond H. P. Baxxter entgegen. Stattdessen kriegen wir einen hübsch angegrauten Mann serviert, der bedruckte Papierschnipsel unter einen Wasserstrahl hält und sie abwäscht. Auch gut. Später sitzt Zwicky in seinem Atelier wie ein Grand-Seigneur-Maler vor den eigenen Gemälden und redet, gerahmt von Edelstahlnudelsieb und Tropfbildern, vor allem eins: wirres Zeug. „Und zwar stelle ich mir vor, dass das Chalet als zugespitzte, hölzerne Schweizer Behausungsform eigentlich ausgeschafft werden müsste, möglichst weit weg, und das ist mir im letzten Werk dann tatsächlich passiert, das Chalet wurde zur Blockhütte in den chilenischen Alpen und zur Drehscheibe für adrette Drogenschiebereien.“ Bei so einer dialektalen Onkelhaftigkeit kann man ihn eigentlich nur unterschätzen.

Mutmaßung

Fokussierung auf das Sprachmaterial und Ausspielen des Schweizer Regio-Jokers. Dafür wird er viel Lob einheimsen („fabelhafte Artistik“ u. ä.), das letztlich aber wirkungslos sein wird. Für einen Bachmann-Preisträger ist er dann doch zu sehr Schweizer Dada-Onkel.

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Julia Wolf: Rätselhafte Zurückhaltung

Dass man nicht weiß, woran man ist – das ist der Clou bei Julia Wolf (geb. 1980). Ihr Porträt bleibt bis zum Ende rätselhaft. Alte Männer in Badehose liegen auf einer blau gekachelten Liegefläche und sprechen theatralisch Worte und Sätze nach. Die Autorin tritt erst ganz am Ende auf, wenn ihr Kopf wie eine PPP-Folie ins Bild gleitet. Was das soll? Keine Ahnung.

Mutmaßung

Just diese rätselhafte Zurückhaltung wird auch für Wolfs Textarchitektur wichtig sein. Wenn ihr Beitrag seinen epischen Bau nicht allzu plump preisgibt, kann ihr Schreiben durchaus überzeugend wirken. Gefahr droht, wenn – und das wird bestimmt eine(r) aus der Jury anbringen – die Verrätselung als technische Masche offenbar wird.

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Sharon Dodua Otoo: Stimmdienstleisterin

Der Clip von Sharon Dodua Otoo (geb. 1972) beginnt mit einem Gespräch zwischen der Autorin und einem jungen Mann, dem sie gerade die Haare macht, und endet mit einer Familien- und Freundesfeier, bei der alle gemeinsam singen. Hier, das wird schnell klar, ist jemand Stimmdienstleister für andere, die sonst nicht zu Wort kommen. Otoo kämmt Haare, hört zu, kocht, fragt nach. Das wird hervorragend ankommen, weil sie mit einem littérature-engagée-Hopser aus dem Sumpf der Selbstbezüglichkeit springt.

Mutmaßung

Ein im besten Sinne humanistischer Text, dem es weniger um sich oder die Autorin geht, sondern um die Figuren und ihre Schicksale. In der Jury-Diskussion werden die französische Autorin Marie NDiaye und der nigerianisch-amerikanische Autor Teju Cole vorkommen. Auch das Schlagwort „afropolitisch“ darf nicht fehlen. Gefährlich wird es für die Juroren, wenn sie Otoo auf die hochriskante und grundbescheuerte Trias „schwarz, weiblich, jung“ reduzieren wollen.

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Bastian Schneider: Anlehnung ans Crowdfunding

Bastian Schneider (geb. 1981) bedient sich der Optik von Crowdfunding-Videos, um im Zeitraffer Fotos aneinanderzureihen, auf denen Schneider jeweils Plakate mit Worten vor sich hinhält. Das erinnert an das Video zu „Nur ein Wort“ von Wir sind Helden, leider ohne die Musik und die Lyrics, stattdessen ein wenig Rhetorik à la Die Sendung mit der Maus. Ständig schweift man beim Zuschauen ab und denkt sich: Ach, stimmt, das erinnert mich an etwas. Nur ist dieses Etwas meistens gelungener als Schneiders Anlehnung.

Mutmaßung

Wenn sein Prosastück ähnlich gestaltet ist, wird man sich am Ende des Lesetages fragen, wer nochmal dieser Schneider war – und wieso dieser Typ so ein merkwürdiges Crowdfunding-Projekt vorstellen musste.

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Astrid Sozio: Aus dem Nähkästchen

Auch Astrid Sozio (geb. 1979) zeigt sich fotoaffin. Sie tritt zusammen mit ihrem Zettelkasten auf, in dem sie allerlei Snapshots aufbewahrt. Ihr Porträt ist angenehm amateurhaft: Bei den Takes, in denen sie von sich erzählt, sitzt die Kamera schief, und die reincollagierten Shots von Nordlichtern, schmelzenden Eisbergen und Schwarzweiß-Aufnahmen zertrümmerter Städte ergeben nicht wirklich Sinn. Dennoch hören wir Sozio und ihrem nähkastenartigen Gerede gerne zu. Ihr Auftritt ist auf sympathische Weise nahbar und gut gelaunt. Ob eine ähnlich organisierte Textpassage der spitzzüngigen Jury gefallen wird, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

Mutmaßung

Gut möglich, dass sie laut Jury „nicht genug Biss“ besitzt, dass ihre Erzählung zwar „unverstellt zugänglich“ ist, „wir uns aber in ihrem Innern nicht verlieren können“. Und dann wird dieselbe Jurorin raunend hinzufügen: „Und wollen wir uns nicht eigentlich in Literatur verlieren, wie in einem Labyrinth?“

Auf eigene Gefahr – Autoren-Selfies (1)

Auf eigene Gefahr – Autoren-Selfies (2)

 

Bildnachweis:
Beitragsbild-Montage unter Verwendung von:
Blaue Kacheln: Vera Kratochvil, Public Domain via PublicDomainPictures.net
Selfie Icon von Claire Jones (http://thenounproject.com/term/selfie/28250/) [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons
Video-Stills: ORF

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Von Samuel Hamen

Promovend an der Universität Heidelberg. Samuel Hamen ist externer Mitarbeiter des Centre national de littérature (CNL) in Luxemburg, betreut den Literaturblog www.ltrtr.de und ist zudem für die Tageszeitung „Lëtzebuerger Journal“ als Literaturkolumnist tätig.

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