Den furztrockenen, ziemlich eigenen Humor des US-amerikanischen Meisters Don DeLillo haben die Leserinnen und Leser sicher irgendwann einmal bemerkt. Niemand würde seinen neuen Roman Null K mit einer pointengeilen Trendkomödie verwechseln. Und doch gibt es gegen Ende eine kleine Passage, die sich leicht überlesen ließe, bei der mir als Übersetzer allerdings kurz die Spucke wegblieb.

Der Erzähler und Protagonist Jeff, Sohn eines schwerreichen Börsenhais, der sich, seiner Frau nachfolgend, für die Zukunft tiefgefrieren lässt, wirkt fast die ganze Zeit von den Ereignissen überfordert. Sein Leben in New York ist, nachdem er das Projekt Unsterblichkeit live in der asiatischen Wüste kennengelernt hat, geprägt von Desorientierung, Antriebslosigkeit, Verwunderung, was im Übrigen gut nachvollziehbar ist, nach allem, was er erlebt hat. Drei Seiten vor dem grandiosen Schlusskapitel, inmitten einer Akkumulation von Fragmenten der Wahrnehmung und des Denkens, die jeweils durch Leerzeilen voneinander abgesetzt sind, findet sich ein allein stehender Satz.

I walk for hours, dodging a splotch of dogshit now and then.

Ein Tiefpunkt der herumirrenden inneren Leere: sich stundenlang durch die Stadt treiben zu lassen – und das einzig Mitteilenswerte ist der Reflex, nicht in die gelegentlichen Hundehaufen zu treten.

Emblematisch genug für den Autor, damit der Satz eine nähere Betrachtung verdient. Und zugleich hörte ich den Autor vor meinem geistigen Ohr in sich hineinkichern beim Tippen dieser Wörter. Der Rhythmus, die raffinierte Klangfolge aus Vokalen und Konsonanten, die den Klutsch des Anstoßes geradezu lautmalerisch abbildet. So viel Kunst für … so was, mag man meinen; es gibt Passagen, wo DeLillo seine Kunst für erhabenere, tiefschürfendere, dramatischere Aussagen einsetzt.

Aber er tut es eben auch hier. Ätsch.

Nur, was mache ich im Deutschen damit?

Ich gehe stundenlang spazieren und weiche ab und zu einem Haufen Hundescheiße aus.

Das ist keine Option: bis auf die müde H-Alliteration klanglich und rhythmisch öde, dahinter ist kein mutwilliges, spitzbübisches Kichern zu vernehmen.

Der Satz muss verknappt, verdichtet werden, damit er lakonisch bleibt und eine Chance auf Rhythmus hat. Und dann muss die deutsche Lautmalerei ran, aber im Rahmen des Bekannten (mein erfundenes Wort „Klutsch“ fiele also auch aus), plus möglichst vieler Klangkorrespondenzen, wo sie sich organisch anbieten.

Bei der Verdichtung gibt es den Trick, die Erzählhaltung zu verschieben: vom Berichtenden zum inneren Monolog, vom bloßen ausweichen zum bloß nicht! Was die Klanglichkeit betrifft, muss man halt suchen. Auch im Deutschen soll es sich so anhören, als wäre er doch reingetreten.

Ich gehe stundenlang spazieren, bloß in keinen Flatschen Hundekacke latschen.

Bl – fl – l – atsch – ack – atsch, und jambisch ist es auch. So.

Banal? Das muss jeder selbst entscheiden. Als Übersetzer habe ich diese Freiheit nicht. Es steht da, es fällt auf, es hat Humor, auch wenn ich diesen, recht bedacht, vielleicht nicht mehr als trockenen Furz bezeichnen würde.

Und ich gestehe: Gekichert hab ich auch.

Angaben zum Buch
Don DeLillo
Null K
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert
Kiepenheuer & Witsch · 288 Seiten · 20,00 Euro
ISBN: 978-3462049459
Bei Amazon oder buecher.de
delillo
Beitragsbild:
Von Sieglinde Geisel

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Von Frank Heibert

Übersetzer, unter anderem von Don DeLillo, Willam Faulkner, George Saunders, Lorrie Moore, Boris Vian, Yasmina Reza und Richard Ford. 2006 erschienen sein erster Roman „Kombizangen“ und das Jazz-Album „The Best Thing on Four Feet“ (zusammen mit der Jazz-Combo Finkophon Unlimited).

2 Kommentare

  1. Danke für die humorvollen, erhellenden Einblicke in die Arbeit des Übersetzers. Und ein dickes Kompliment.

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  2. > Das ist keine Option:

    Auch nicht inhaltlich: “splotch” suggeriert nicht einen Haufen, sondern schon breitgetretene oder vom Regen verteilte Hundekacke. Dabei denke ich gleich an “Klacks”…

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