Gleich zu Anfang begegnen wir Heiko bei seiner Lieblingsbeschäftigung: einer Schlägerei zwischen Hooligans aus Hannover und aus Köln, ein Match, wie ihn sich verfeindete Hooligangruppen in Wäldern, stilllgelegten Industriegebieten und Autobahnraststätten regelmäßig liefern. Der Fußball spielt in diesem Roman um einen Hooligan nur eine Nebenrolle. Es geht um triviale Männlichkeit und Selbstbetrug.

Ich stecke mir den Zahnschutz in den Mund. Beiße drauf. Die Nervosität ist nur noch ein Nachgeschmack. Wir stellen uns in drei Reihen über die Breite des Weges auf. Das Adrenalin pumpt durch meinen Körper. Der Kopf wird leicht. Die Truppe stampft los.

Es ist Krieg, und die Hooligans sind eine disziplinierte Armee. Sie greifen zu Fuß an, fast wie die Soldaten im Ersten Weltkrieg, jedoch nicht mit Bajonetten, sondern mit bloßen Händen. Ein brutales Männerritual, das lebendig beschrieben wird. Im Roman stehen diese Kämpfe im Mittelpunkt: Sie werden vorbereitet, man erinnert sich an sie, man wünscht sie sich herbei. Sie erzeugen jene Emotionen, die den Handlungen und Gedanken der Figuren abgehen.

Sport als Schleier der Gewalt

Der Fußballverein und die immer wieder zitierte Liebe zur Stadt wirken wie eine bunte Tapete, die lediglich dazu dient, das kitschige Bild eines muskelbepackten jungen Mannes schöner erscheinen zu lassen. Hinter dem Bild verbirgt sich in diesem Roman das Leid des jungen Heiko und sein verzweifeltes Bemühen, den Gang des Lebens aufzuhalten und in die Unschuld seiner Kindheit zurückzukehren.

Heiko und seine Freunde Kai, Ulf und Jojo erscheinen als verschworene Gemeinschaft. Was sie verbindet, sind die Rituale und Kämpfe der Hooligans. Diese Rituale verleihen auch anderen Emotionen Ausdruck, so zum Beispiel der Trauer um den Tod des kleinen Bruders von Jojo oder um den Selbstmord von Robert Enke, dem Torhüter von Hannover 96.

Kameradschaft, Zusammenhalt, Rache – etwas anderes scheinen die Hooligans in Philipp Winklers Roman Hool nicht zu kennen. Für einen blutenden Feind hat Heiko weniger Mitgefühl als für die Kampfhunde und den Tiger, die er füttert, damit er umsonst bei einem Bekannten wohnen kann.

Frauen stören nur

Heikos Vater erleben wir im Roman ständig betrunken, sein Onkel Axel ist nicht nur der Boss der Hooligangruppe, sondern auch Drogenhändler, er macht Geschäfte mit Neonazis und ist Besitzer des Fitnessstudios, in dem sein Neffe arbeitet.

Die Welt der Hooligans wird von Männern wie diesem Onkel verkörpert. Nur Heikos Großvater hat mit dieser Gesellschaft nichts zu tun, er stirbt, als Heiko noch ein Kind ist und verkörpert für ihn daher die Unschuld und das Glück der Kindheit.

Frauen stören in dieser Männerwelt nur: Heikos Mutter gilt als Stifterin von Heikos Unglück, weil sie die Familie verlassen hat, als er noch ein Kind war. Die neue Freundin des Vaters, eine Asiatin, kann Heiko nicht ausstehen, ohne dass wir die Gründe dafür erfahren – ihretwegen verlässt er sein Zuhause. Die Schwester versucht die Familie zusammenzuhalten, doch für Heiko ist sie eine „Nervensäge“: Als verheiratete Mutter zweier Kinder repräsentiert sie für ihn das Leben der verhassten „Normalos”. Seine Ex-Freundin wiederum ist ein Phantom. Der Leser erfährt von ihr bloß, dass sie von Heiko heimlich kontrolliert und geradezu gestalkt wird. Die Großmutter schließlich ist eine Hexe, mit der Stimme eines Raben.

Im falschen Leben gefangen

So flach und banal wie die Figuren sind auch die Gefühle, die in diesem Roman anklingen. Früher sei alles schöner, reiner und besser gewesen, so kommt es Heiko vor.

Ein echter Fußballfan legt Wert auf Tradition, auf das Althergebrachte. Nichts verkörpert das besser als unsere Hannoveraner Stammkneipe. Der altehrwürdige Timpen in der Calenberger Neustadt. Umgeben von verkehrsberuhigten Kopfsteinpflasterstraßen und für Touris aufgehübschten Fachwerkbauten, in die sackteure Yuppiecafés reingesetzt wurden, ist der Skipper mit seinem, unserem Timpen eine letzte Bastion guter Hannoveraner Kultur.

Das heutige Leben hingegen empfindet Heiko als falsch, das gilt sogar für den Fußball:

Dieses Gefühl aus meiner Kindheit hat sich irgendwann ausgelaufen, schätze ich. Diese Ehrfurcht vor dem Stadion und der Kurve, die von Männern wie meinem Onkel beherrscht und bestimmt wurden. Liegt bestimmt an der verdammten Kommerzialisierung.

Zu dieser klischeebehafteten Ablehnung der bürgerlichen und konsumorientierten Gesellschaft kommt ein unbestimmter Hass gegen alles, was nicht zu Heikos Clique gehört. Das alles wird in einer Rollenprosa erzählt, die auf jugendlich getrimmt ist, voll von Geschlechtsteil-Metaphorik und in einer draufgängerischen Rhetorik, die schon nach wenigen Seiten langweilig und nichtssagend klingt. Auch Heikos Liebe zu seinen Freunden erweist sich als Selbsttäuschung, die Kameradschaft ist falsch. Heiko will ein Leben, das es so nicht gibt. Er lebt in einer erfundenen Vergangenheit, und er hat sich von der Wirklichkeit entfernt, wie sein Freund Kai ihm vorwirft, der aus der Hooliganszene ausgestiegen ist:

Und du solltest auch endlich im wahren Leben ankommen.

Bildnachweis:
Beitragsbild: Stadion im Nebel
via pexels.com
Cover „Hool“: Aufbau Verlag
Angaben zum Buch
Philipp Winkler
Hool
Roman
Aufbau Verlag 2016 · 310 Seiten · 19,95 Euro
ISBN: 978-3351036454
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Von Agnese Franceschini

Deutsch-italienische Journalistin und Autorin, u.a. für den WDR.

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